Pumori – Alleingang zur „Tochter des Mt. Everest“

Pumori – In 30 Stunden hin und zurück

Als 25-jähriger stieg ich alleine, ohne Unterstützung fremder Hilfe, vom Basislager (5200 m) in weniger als 30 Stunden über den Südwest-Sporn zum Gipfel (7161 m) und wieder zurück.

 

Pressebericht von 1990

Für den jungen Bergsteiger Walter Hölzler ist Nepal, der Puffer zwischen China und Indien, kein unbekanntes Territorium. Die Hauptstadt Kathmandu war 1988 für ihn bereits als 22-jähriger Ausgangpunkt für eine dreimonatige Tibet-Expedition die den 8046m Meter hohen „Shisha Pangma“ und den 8201 Meter hohen „Cho Oyo“ im Alpinstil zum Ziel hatte und von der Walter Hölzler als jüngster Deutscher Achttausender-Besteiger zurückkehrte.

Der Oberallgäuer mit Wohnsitz in Oberstaufen hat schon damals den orkanartigen Monsunstürmen bei Temperaturen bis zu minus 38 Grad getrotzt, hat die Höhenkrankheit mit ihren lähmenden Angstzuständen durchlebt und hat erfahren, dass in der dünnen Luft der „Todeszone“ keine Erholung mehr möglich ist und nur die totale Erschöpfung noch eine Ruhepause bringen kann. Fast zwei Jahre dauerte es bis er seine erste Achttausender Expedition mit tödlichen Erlebnissen verarbeitet und aus Fehlern gelernt hatte. Nun lockte ihn der 7161 Meter hohe „Pumo Ri“, einer der schönsten Berge der Welt, der auch als „Tochter des Mt. Everest“ bezeichnet wird. Er reicht zwar lange nicht an die 8000 Meter Grenze heran, doch auf Grund seiner technischen Schwierigkeiten und den daraus resultierenden Gefahren gibt es bisher wenige Bergsteiger die seinen Gipfel erreichten.

Pumo Ri – Lange Zeit unbezwingbar
Der „Pumo Ri“ galt lange Zeit als unbezwingbar. Erst 1962 gelang einer deutsch-schweizerischen Expeditionsgruppe die Erstbesteigung. Viele hatten sich davor an dem „schönsten Berg der Erde“ wie er in der Fachliteratur oft bezeichnet wird, schon versucht. „Doch so grazil der Berg auch wirkt, so gefährlich ist er auch“, meint Hölzler. Steile Flanken auf allen Seiten erfordern alpinistisches Feingespür und technisches Können in einer Höhe über 6000 Metern, auf der das Sauerstoff Defizit schon beträchtliche Leistungseinbußen in Gehirn und Muskulatur hervorruft.

Gezieltes Training
Gezieltes Training an schwierigen Alpenwänden, große Ausdauer, kühner Angriffsgeist und ein wenig Glück galten beispielsweise für die Erstbesteiger als Voraussetzung für ihre Unternehmung. Zumindest das Glück hatte vielen anderen gefehlt, die dafür mit ihrem Leben bezahlten. Allein 1987 waren es zwei Amerikaner, 1989 vier Spanier und im Frühjahr 1990 ein japanischer Bergsteiger.

Der schönste Siebentausender
Walter Hölzler hörte während einer Bergführer Weiterbildung zu Beginn des vergangenen Jahres von Sigi Hupfauer, einem bekannten Achttausender Besteiger, von dem „schönsten Siebentausender“ schwärmen, den er kenne. Dabei erfuhr der Oberallgäuer auch von der geplanten Nepal-Expedition unter Leitung des Extrembergsteigers und legendären Sportwissenschaftlers Fritz Zintl von der technischen Universität München.

Früher Ski-Ass
Auch Walter Hölzler ist nicht unerfahren. Bereits mit 20 Jahren bezwang der einstige Skirennläufer (1. Platz Junioren Weltrangliste) das 4477 Meter hohe Matterhorn im seilfreien Alleingang über die frisch verschneite Nordwand. Ein Jahr später kletterte er im Alpinstil durch zwei „Big Wall“ Routen im amerikanischen Yosemite Valley. Und wenige Monate darauf  eroberte Hölzler bei seiner ersten Expedition die „Shisha Pangma“, bei der sein Partner bewusstlos vom Gipfel abstürzte.

Die große Chance
Am 15. September startete die  Expeditionsgruppe vom Flughafen München aus nach Kathmandu. Walter Hölzler hat das Glück, als Assistent vom erfahrenden Fritz Zintl dabei sein zu dürfen. 7000 Meter von der Heimat entfernt beginnt für die deutschen Bergsteiger von der nepalesischen Hauptstadt aus der bereits beschwerliche Weg zum Basislager. Nach einem Tag Busfahrt durch steiles Gelände und über schmale Wege heißt es zu Fuß weitergehen. 150 Kilometer müssen insgesamt bis zum Basislager in 5200 Metern zurückgelegt werden. Zwei Wochen dauert dieser anstrengende Marsch, bei dem es gilt fast 8000 Höhenmeter (auf und ab) zu überwinden. Die Sherpas tragen Lasten, die zum Teil ihr Körpergewicht erreichen. Die Tagesetappen betragen für sie 10 bis 12 Stunden bei ständig wechselnder Witterung. Sonne und Monsunregen wechseln sich ab. Der Regen bringt außerdem noch eine unangenehme Nebenerscheinung mit: die „Lichis“. Blutegel, die von den Bäumen geschwemmt werden, sich auf der Haut festbeißen und Krankheiten übertragen können. Sie lassen sich nur mit dem Feuerzeug abbrennen.

Schwere Erkältung
In der zweiten Woche wird das Gelände immer steiler, die Pfade immer unwegsamer. Zeitweise trifft die Expedition auf Sherpas, die für die Versorgung von Dorf zu Dorf eingesetzt sind. Der Marsch zum Basislager unterhalb der Südwand des „Pumori“ wird für die Alpinisten zusehends beschwerlicher, da eine Höhe ab 5000 Meter für den Kreislauf eines Europäers sehr ungewohnt und belastend wirkt.

Walter Hölzler erreicht das Lager später als die übrigen Teilnehmer. Er wurde auf den letzten Etappen von einer schweren Erkältung befallen. Jeder Atemzug brachte wahnsinnige Schmerzen in der Lunge mit sich. Der Oberallgäuer konnte der Gruppe nicht mehr folgen und wurde zurückgelassen. Drei Tage lag er während eines heftigen Monsunregens bei einer Sherpafamilie in einer schmutzigen Hütte ohne Fußboden und nahm statt fester Nahrung Antibiotika zu sich.

Chancenlos am Berg
Erst nachdem die Tabletten langsam ihre Wirkung zeigten, raffte sich Hölzler auf und machte sich in weiteren drei Tagen auf den unbekannten Weg in Richtung Basislager. Auf die Frage in welche Richtung er gehen müsse, antwortete ihm der bis dahin beherbergende Sherpa in gebrochenem englisch: „zwei Tage gerade und dann einen Tag nach links“.

Im Basislager angekommen, trifft er neben seiner eigenen Gruppe ein sich auf den Nachhauseweg vorbereitendes spanisches Team, das sich wochenlang erfolglos am Berg versucht hatte.

Katalanen Route
Die Deutschen unter Leitung von Fritz Zintl entscheiden sich nicht für die Route der Erstbegeher, sondern für de Katalanische, die 1970 erstmals begangen wurde.

Der Weg zum Einstieg  in 5500 Meter Höhe erweist sich als nicht sehr schwierig. Doch dann ändert sich die Situation. Ein knapp 600 Meter hoher Eissporn zieht direkt in die Südostwand zu einem ausgesetzten Lagerplatz auf 6150 Meter Höhe.

Kein sicherer Zeltplatz
Der Expeditionsleiter und sein Assistent benötigen drei Tage um auf Grund des vielen Schnees Wechten zu durchbrechen, Haken zu schlagen und Fixseile im steilen Bereich anzubringen. Sie dienen der Orientierung in der Wand und sind lebensrettend bei einem eventuellen Rückzug. Vom Zeltplatz auf dem Sporn bis zum Gipfel betrug der Höhenunterschied noch mehr als 1000 Höhenmeter. Es gab jedoch keinen sicheren Platz für ein weiteres Zwischenlager, da zuvor schon mehrere Lawinen abgegangen waren. Fritz Zintl und Walter Hölzler steigen nach einer genauen Routeninspektion wieder ab ins Basislager um sich zu erholen.

Rasende Kopfschmerzen
Während der Organisation für den Gipfelaufstieg wurde die Vorgehensweise besprochen. Walter Hölzler wollte alleine gehen, da für ihn die Geschwindigkeit auf Grund objektiver Gefahren (Eisschlag, Lawinen) oberste Priorität hatte.

Er bricht am 8. Oktober am Morgen auf. Trotz schwerem Gepäck kommt er schnell voran, erreicht gegen Mittag einen Zeltplatz am Einstieg des Südwestspornes und steigt am frühen Nachmittag noch in die Route ein. Seine Taktik heißt: „Tempo machen“. Den je weniger er sich in der Gefahrenzone aufhält, um so besser, so sein Motto. Bei Einbruch der Dunkelheit erreicht er den Lagerplatz auf 6150m auf einem kleinen Eis-Sporn mitten in der riesigen Wandflucht. Für ihn eine schnelle Zeit und Zeichen seiner Leistungsfähigkeit. Doch die Freude war von kurzer Dauer, da rasende Kopfschmerzen auf Grund des flotten Aufstieges und des damit verbundenen Flüssigkeitsmangels einsetzten.

Ein fataler Fehler
Bei Außentemperaturen von minus 30° Grad (Oktober) will Walter Hölzler sich im Zelt mit seinem Kocher Tee aufwärmen und schließt den Reißverschluss des Einganges. Ein fataler Fehler, der ihm fast das Leben gekostet hätte. Denn der Gaskocher verschlingt den wenigen Sauerstoff im gut verschlossenen Innenraum. Wenige Sekunden bevor er in tiefer  Bewusstlosigkeit versinkt, erinnert er sich an zwei Sherpas, die auf einer anderen Expedition diesen dramatischen Fehler mit ihrem Leben bezahlen mussten. Reflexartig reißt er das Zelt auf und schmeißt den Kocher in hohem Bogen die Wand hinunter.

So gibt es doch keinen heißen Tee und die damit verbundene innere Wärme. Auch der Versuch zu schlafen, bleibt erfolglos. Zu sehr beschäftigt ihn sein Missgeschick. Unruhe kommt zu den Kopfschmerzen hinzu und das Gefühl der Einsamkeit in der steilen Wand, in der er nur das gleichbleibende Geräusch des eisigen Windes wahrnehmen kann.

Die Lawine
Auf einmal zerreißt ein schreckliches Getöse die Stille. Eine Lawine, ist der einzige Gedanke des Bergsteigers. Sein Puls rast und er benötigt einige Zeit, um vor Schreck seine Gedanken ordnen zu können. „Sind das die letzten Minuten“, fragt es sich erstarrt vor Angst. Dann wird es wieder ruhig. Doch Hölzler traut sich nicht sein Zelt zu öffnen. Er betet und wünscht sich nie an diesem Ort gewesen zu sein. Irgendwann sinkt er erschöpft in einen unruhigen Dämmerzustand.

Sonnenaufgang
Erst als die wärmenden Sonnenstrahlen sein Zelt erreichen, wacht Hölzler auf  und blickt unsicher aus seinem Zelt. Sofort erkennt er die Lawinenbahn, die ca. 15 Meter neben ihm durch die steile Südwand führt. Natürlich suchte er Tags zuvor einen sicheren Platz für das Lager, doch schlussendlich konnte er nicht genau voraussehen welche Massen solche Naturgewalten mit sich bringen können.

Ein letztes Hindernis
Er ist geschwächt von der durchwachten Nacht, will aber trotzdem auf Grund des herrlichen Wetters und nach reiflicher Überlegung einen Gipfelversuch wagen. Eisgrat und Eisflanke wechseln sich ab und die Spuren der Lawine sind überall sichtbar. Erst jetzt erkennt er deren Ausmaß. Einsturzbereite Eisbalkone säumen beängstigend den Weiterweg des Extremkletterers. Seine Hände und Füße sind gefühllos. Wie tags zuvor erreichen die Höchsttemperaturen nicht mehr als 20 Grad unter Null. Ein letztes Hindernis stellt sich ihm noch einmal in den Weg. Eine drei Meter hohe Serac-Abbruchkante. Wie ein Maulwurf  gräbt sich Walter Hölzler mit seinen Eisgeräten einen Weg. Er sieht aus wie ein „Schneemensch“, als er den Grenzgipfel erreicht und ihn völlig allein der eisige Tibet-Wind von Norden empfängt.

R.K.

Teilweise Qualitätsminderung durch eingescannte original Dias