Mount Kenia- Ein Berg mit Geschichte

Mt. Kenia – Expeditions-Vorbericht 2007

In wenigen Wochen brechen wir zur „Afrikan Skyline“ am Mt. Kenya auf. Die Geschichte um den Berg fasziniert mich schon lange. Und gerade deswegen möchte ich an diesem landschaftlich so unvergleichlichen Felsberg eine schöne Kletterlinie hinterlassen…

Wie der Kilimandscharo nimmt der Mt. Kenia in den einheimischen Überlieferungen einen verehrten Platz ein. Für die Kikuyu war der Kenia, der höchste Gipfel des Landes und nach dem Kilimandscharo der zweithöchste des afrikanischen Kontinents, der irdische Rastplatz des Schöpfungsgottes Ngai. Eine ihrer Sagen erzählt, wie Ngai die Erde erschuf, sie unter die Völker der Welt aufteilte und einen Mann namens Kikuyu mit auf den Gipfel des Kenia nahm. Dort zeigte Ngai Kikuyu das herrliche Land am Fuße des Berges, das er erhalten sollte, und wies ihn an, zu einem Feigenbaum-Hain im Zentrum des Landes zurückzukehren. Kikuyu tat dies und fand dort eine Ehefrau. Die beiden bekamen neun Töchter, von denen jede die Urmutter eines der neun Kikuyu-Stämme wurde.
Der einsam aufragende Berg stand im Mittelpunkt der Initiationszeremonien. Wenn die Kikuyu um Weisheit, Wohlstand oder Regen beteten, wandten sie sich dabei dem Mt. Kenia zu, auf dem Ngai ruhte. Sie nannten ihren Berg Kere-Nyaga (wovon sich der Name Kenia ableitet), den „Berg des Leuchtens“, und gaben Ngai den Beinamen Mwene-Nyaga, „Besitzer des Leuchtens“.
Die Kikuyu betrachteten den Schnee hoch oben am Berg als übernatürliche Substanz. Noch 1849 wurde der Bericht des deutschen Missionars Ludwig Krapf, er habe in British East Afrika in Äquatornähe Schnee gesehen, in Europa als absurd abgetan. Als dann aber der schottische Geograph Josef Thomson 1883 die Existenz des Mount Kenia bestätigte, trafen alsbald die ersten Bergsteigerexpeditionen ein. Die Erstbesteigung vollbrachte jedoch erst 1899 der Geograph Halford Mackinder, ein Wissenschaftler mit geringer Klettererfahrung. Mackinders Mannschaft – sechs Europäer und knapp 200 Träger – begegneten den größten Gefahren nicht auf dem Berg sondern während des dreißigtägigen Anmarsches von Nairobi. Sie konnten zwar die Attacken ergrimmter Nashörner abwehren, verloren aber zwei Männer durch Angriffe feindlicher Stämme. Nach mehreren Versuchen waren Mackinder und seine beiden Bergführer schließlich am Batian, dem höheren der beiden Gipfel des Kenia, erfolgreich, wobei sie auf dem steilen und technisch anspruchsvollen Gipfelstock eine komplizierte Fels- und Schneeroute ausarbeiteten mussten.
Der Berg wurde erst dreißig Jahre später erneut bestiegen – von den berühmten englischen Bergsteigern Eric Shipton und Wyn Harris, die den Batian und erstmals auch den Neilon erklommen.
Den kuriosesten Besteigungsversuch unternahmen im zweiten Weltkrieg drei italienische Kriegsgefangene, die aus einem nahen britischen Lager geflohen waren, weil ihnen die Gefangenschaft zu langweilig wurde. Sie kündigten an, dass sie nach der Besteigung des Mount Kenia zurückkehren würden, was sie dann auch taten: mit Geschichten von Kämpfen mit wilden Tieren, steilen Schneewänden und schlechtem Wetter, doch ohne Gipfelerfolg.
Das Buch von Benuzzi: Flucht ins Abenteuer „drei Kriegsgefangene besteigen den Mt. Kenia“, wird zu einem Klassiker der Bergsteigerliteratur.
Nach Kriegsende wuchs das Interesse am Mt. Kenia. Viele schwierige Routen wurden eröffnet, u. a, die „steilste und längste Eiskletterei Afrikas“ – die vierzehn Seillängen Route „Diamondcouloir“ zum Tor des Nebels, dem Sattel zwischen Batian und Neilon.

Die „Normalwege“ auf die beiden Gipfel von einem Hochlager auf ca. 4200 Meter sind erstzunehmende Routen und nur mit fortgeschrittener Felsklettertechnik (UIAA Grad IV) zu bewältigen. Trotz der beiden Trockenzeiten im Winter und Sommer rechnet man im Durchschnitt mit 250 Schlechtwettertagen am Kenia, die sich mit heftigen Schneefällen am Berg auswirken können. Wir sind dennoch sehr hoffnungsvoll und gespannt, ob wir uns in die legendäre Geschichte des Berges mit dem kleinen Kapitel einer Erstbegehung einreihen dürfen.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, denn am 31. Juli sind wir bereits unterwegs nach Nairobi…