Bhagirathi “Berg ohne Gnade” – Expeditionsbericht 2001
Jahr 2001
In Delhi ist es glühend heiß. Bis auf 50 Grad klettert das Thermometer. Die Hitze und die Sturheit der Beamten zerrt an unseren Nerven. Drei endlose Tage sitzen wir fest, bis der Zoll endlich unser Material freigibt.
Mit einem altersschwachen Linienbus rumpeln wir unserem luftigen Ziel entgegen: Der 6454m hohe Bhagirathi III gehört zwar zu den Kleinen des Himalaya, doch seine Wand ist spektakulär. Begrenzt wird sie von der 1600 Meter kühn in den Himmel ziehenden Linie des noch unbestiegenen direkten Südwestpfeilers. Wir, Rainer Treppte, Robert Jasper, Walter Hölzler und unser Kameramann Jochen Schmoll, wollen genau über diesen Pfeiler einen Weg nach oben finden. Auf dem Anmarsch vom Pilgerort Gangotri ins Basislager auf den weiten Wiesen der Nandavan Hochfläche (4350m), hemmt jedoch erst mal starker Durchfall unseren Tatendrang. Wer Wert auf seine Gesundheit legt, sollte zwischen Delhi und dem Basislager im Garhwal Himal nur eigene Nahrung zu sich nehmen, haben wir jetzt inzwischen gelernt. Doch die Verhältnisse in der Wand sind optimal. Der Pfeiler ist so gut wie schneefrei, das Wetter zeigt sich von seiner Besten Seite. Bis zu 20 Grad haben wir tagsüber im Basislager, während nachts das Thermometer unter den Gefrierpunkt sinkt. Im Westwandbecken errichten wir auf 4900m ein Hochlager, Robert und Rainer finden eine günstige Route zum Einstieg des Pfeilers. Die ersten Seillängen sind ein Genuss: Mit den Kletterschuhen an den Füssen klettern sie frei hinauf und legen ohne Probleme die Fixseile. Wir kommen gut voran. Doch dann schlägt das Wetter um. Schnee fällt bis auf 4000m herunter, Gewitterstürme fegen uns fast aus der Route. Durch die extremen Temperaturschwankungen bildet sich Eis in den Rissen. Die Kletterschuhe müssen wir immer öfter durch Steigeisen ersetzen. Unter diesen Umständen schaffen wir nur noch maximal 2 Seillängen (100m) pro Tag. 15 Zentimeter Neuschnee liegt inzwischen in den flacheren Passagen des Pfeilers, regelmäßig ziehen nachmittags Gewitter über uns hinweg. Die ständigen Rückzüge aus der Wand kosten Kraft und Nerven. Endlich erreichen wir die eigentliche, mehr nach Süden ausgerichtete Gratkante und hoffen, endlich wieder schneller vorwärts zu kommen. Auf 5600m errichten wir ein Hängebiwak: Nichts als Luft unter uns, über uns der senkrechte, zum Teil bedrohlich glatte Pfeiler. Doch Robert und Jochen werden von Hustenkrämpfen gequält, sie müssen sofort zurück ins Basislager. Obwohl das Wetter nicht besser wird, versuchen Rainer und ich weiter nach oben zu kommen. Der Plan, die Route frei zu klettern (ohne technische Fortbewegungsmittel), müssen wir unter diesen Bendingungen jedoch aufgeben. Im Alpinstil versuchen wir zum Gipfel zu kommen. Direkt an der Pfeilerkante richten wir nochmals 8 Seillängen mit Fixseilen ein. Nur noch zwei, drei weitere Seillängen und wir hätten den Pfeilerkopf – und damit leichteres Gelände – erreicht. Doch das Wetter wird immer schlechter. Das Risiko dort oben in einem Inferno aus Eis und Schnee stecken zu bleiben, ist einfach zu groß. Wir entscheiden und für den Rückzug. Alles andere hätte nur bedeutet, Gesundheit und Leben aufs Spiel zu setzen. Zwei Tage benötigen wir, um unser gesamtes Material bei Schnee, Blitz und Donner wieder zurück zum Einstieg zu bekommen. Einen Trost haben wir: Das Wetter wird auch in den kommenden Tagen nicht besser, die Entscheidung umzukehren war wohl die einzig richtige. Unser Ziel, den direkten Südwestpfeiler am Bhagirathi III als erste frei zu durchsteigen haben wir nicht erreicht. Doch wir fahren zurück in die Gluthitze Delhis mit der Gewissheit, dass wir eines Tages zurückkommen, um eine der schönsten und schwierigsten Kletterrouten des Himalaya vollenden zu können.