Mt. Kenia Ostwand Expedition 2007 – Tagebuchauszug

Projekt „African Skyline“

Als wir mit dem völlig überfüllten Land Rover spät am Nachmittag das Gate des Nationalparks erreichen, warten schon die Träger heftig diskutierend auf uns. Geschwind muss die Ausrüstung verteilt werden, da es heute noch losgehen soll.

Es ist bereits dämmerig als wir in den dunklen Regenwald eintauchen. Der Weg ist anfangs noch gut zu erkennen. Doch die Zeit verrinnt schneller als gefühlt. Immer schwieriger können wir uns orientieren, bis wir in völliger Dunkelheit unsere Stirnlampen im voll bepackten Rucksack suchen und wie so oft nicht finden können. Am Old Moses Camp in 3350 Metern wären wir fast vorbei gelaufen, wenn wir nicht zufällig vereinzelte Stimmen in der Nacht vernommen hätten, an denen wir uns orientieren konnten. Niemand von uns glaubte daran, dass die Träger, ohne Stirnlampen und voll bepackt, ihr Ziel heute noch erreichen werden. Doch einzeln, müde und total verschwitzt trudeln sie nacheinander ein. Nach dem wir unsere neuen VAUDE-Zelte aufgebaut haben, bekommen wir ein leckeres Abendessen unter dem Sternenhimmel der Afrikanischen Savanne serviert. Müde und zufrieden schlafen wir in frischer Bergluft ein.

Am nächsten Tag führt uns der Weg leicht ansteigend durch die Moorlands, eine einzigartig schöne Landschaft mit hohen Gräsern und exotisch blühenden Pflanzen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Nach dem Übergang in das Mackinder Valley ändert sich dann die Landschaft sichtbar. Es wird karger, links und rechts ragen die ersten Felsen aus Vulkangestein über uns auf. Ein erstes Kribbeln macht sich in den Fingerspitzen bemerkbar. Dieses Gefühl steigert sich noch, als uns die sich lichtenden Wolken einen ersten Blick auf die Mt. Kenya Nordseite zulassen. Ein majestätischer Anblick über einer Afrikanischen Hochfläche.

Nach sechs Stunden Fußmarsch erreichen wir endlich unser Tagesziel, das Sirimon Camp auf 4200 Meter Meereshöhe. Mit leichten Kopfschmerzen bauen wir unser Basislager auf, richten unsere Zelte ein und machen es uns gemütlich.

Am nächsten Morgen sind alle Blumen, die Expeditionstonnen, und die Zelte dick mit Raureif überzogen, ein erster Beweiß, dass es auch in Afrika verdammt kalt sein kann. Den Tag nützen wir zur Akklimatisation, essen und trinken viel, genießen die Landschaft und blicken anmutig zum nahe gelegenen Mt. Kenya, der sich wie eine Bastion vor uns aufrichtet.

 

05. August 2007

Um 04.00 nachts heißt es aufstehen. Nach einem kurzen Frühstück brechen wir zu unserer Akklimatisationstour, dem Point Lenana auf. Der Vollmond und tausend Sterne leuchten uns den Weg, so dass wir nur selten Stirnlampen benützen müssen. Pünktlich zum Sonnenaufgang stehen wir auf dem Gipfel, der eigentlich nur ein Vorgipfel ist. Das erste Mal schauen wir nun hinüber zur Ostwand des Nelion, die sich goldgelb im Morgenlicht spiegelt. Sie ist noch schöner und größer als wir uns das vorstellen konnten. Nicht umsonst wird der Mount Kenya auch der leuchtende Berg genannt. Unter uns hüllt sich in Minutenschnelle das Tal in ein Meer aus Wolken, aus dem nur die vereinzelten Gipfel wie Inseln aus der Afrikanischen Savanne herausschauen. Ganz hinten, in 180 Kilometer Entfernung meinen wir sogar den Kilimanjaro erkennen zu können.

 

06. August 2007

Heute geht es schwer beladen zum Einstieg unserer geplanten Route. Sehr schnell ist eine Linie in der leuchtenden Ostwand gefunden. Die „Afrikan Skyline“ lebt nun in unseren Köpfen. Jetzt liegt es an uns, diese fiktive Route des „fallenden Tropfens“ in die Realität umzusetzen. Ein spannendes Unterfangen mit ungewissem Ausgang…

Bereits die erste Seillänge verspricht ansprechende Kletterei, die nur mit Keilen abgesichert wird. Der mit Rissen und Löchern durchzogene Vulkanfels bietet aber genügend Möglichkeiten dazu. Erst als uns ein großer Überhang den Weg versperrt, haben wir genug für heute uns seilen ab. Die Höhe macht uns noch ganz schön zu schaffen, so dass wir uns nicht zu sehr fordern wollen.

 

07. August 2007

Wieder sind wir in der eiskalten Nacht schwer bepackt aufgebrochen und haben uns durch steile Geröllhänge zum Einstieg gequält. Erst als die ersten Sonnenstrahlen die Wand in ein goldenes Licht taucht, kommt neue Energie in uns auf. Energie, die wir dringend für die anstehenden Seillängen benötigen. Mit den Steigklemmen steigen wir bis zum ersten Standplatz und bereiten die weitere Erstbegehung vor. Es ist ein herrlicher Morgen, der Sonnenaufgang fantastisch. Die zweite Seillänge beginnt gleich mit einem Überhang, durch den sich ein feiner Riss zieht. Auf jeden Fall ziemlich schwer, vielleicht schon die Schlüsselseillänge. Es dauert seine Zeit, bis Walter mit einem spektakulären „Foothook“ über der Dachkante verschwindet. Danach geht es wieder schneller voran, jedoch in einem etwas brüchigeren Fels, was volle Aufmerksamkeit erfordert. Die nächste Seillänge, auch wenn nicht einfach, schaffen wir in relativ kurzer Zeit, da wir uns immer besser an das Gestein gewöhnen. Doch leider bringt der aufkommende Wind schon wieder eine dicke Wolkenfront aus dem Tal, die sich an unserer Wand in eine weiße Mauer aufstaut. Der zusätzlich einsetzende Schneefall veranlasst uns in einer schnellen Abseilfahrt die tiefer gelegenen Regionen im Basislager aufzusuchen.

Den folgenden Tag nutzen wir zur Erholung.

 

08. August 2007

Ab 6.00 Uhr morgens warten wir wieder einmal ungeduldig am Einstieg auf die wärmende Sonne. Mit den ersten Strahlen steigt Walter in neues Terrain. Der Fels ist immer noch schwerer, als wir zuerst dachten und somit geht es dementsprechend langsam voran. Hier und da setzen wir einen Bohrhaken, um in der steilen und manchmal brüchigen Wand einen sicheren Punkt für die spätere Freikletterei ansteuern zu können. Nach mehreren senkrechten Seillängen erreichen wir den großen Absatz in der Mitte der Ostwand, unser heutiges Tagesziel. Beim Abseilen „putzen“ wir die Route, oder besser ausgedrückt, werfen teils tonnenschwere Felsblöcke zu Tal. Selten berühren sie vor dem Boden die Wand, ein eindrucksvoller Beweiß der Ausgesetztheit, hier in 5000 Meter Meereshöhe.

Die nächsten zwei Tage zwingen uns zwangsläufig zum Ruhetag, da es  vermehrt regnet und schneit.

 

11. August 2007

Nachdem gestern Essensnachschub ins Basislager kam, gibt es heute Morgen um 4.00 Uhr Speck und Ei zum Frühstück. Ein Genuss, den wir gar nicht richtig genießen können, da es einfach zu früh und zu kalt dafür ist. Deshalb halten wir uns nicht lange auf und starten zum nächtlichen Marsch in Richtung Einstieg. Inzwischen kommen wir auch etwas besser voran, da sich bereits ein kleiner Pfad gebildet hat. Trotz des relativ schlechten Wetterberichtes (einsetzende Schneefälle ab Nachmittag) wollen wir heute einen Gipfelversuch starten. Denn zu oft schon quälten wir uns die steile Geröllhalde zum Einstieg hinauf und mussten wegen schlechtem Wetter unverrichteter Dinge wieder aus der Wand flüchten.

Kurz vor Sonnenaufgang erreichen wir den Einstieg und machen uns fertig. Heute ist es besonders  kalt und ungemütlich… Mit den Steigklemmen geht es am Fixseil über den ersten Überhang. Die Seile sind gefroren, so dass die Jümars jedes Mal einen „Eiszapfen“ vor sich her schieben, bevor sie greifen. Manchmal rutscht sogar eine Klemme an dem gefrorenen Seil durch und lässt uns einen heißen Schauer über den Rücken  laufen.      Nach kurzer Pause auf dem Absatz geht es weiter. Die nächste Seillänge leitet durch herrlich griffigen Fels. Als uns dann noch die ersten Sonnenstrahlen wärmen wird die Kletterei kurzzeitig zum Genuss. Doch dieses Gefühl weicht sehr schnell einer Anspannung, als sich die Wand wieder aufsteilt. Wir befinden uns knapp unterhalb eines großen schwarzen Risses, der den oberen Teil der Wand durchzieht. Der Fels scheint gut und fest, doch ebenso glatt und überhängend. Wir sind gespannt…

Die Seillänge unter der „Black Snake“, so nannten wir den schwarzen Riss, bietet nochmals Genusskletterei im sechsten Grad. Am Beginn des Risses erkennt man die wirkliche Steilheit. Im unteren Teil kommt man in einem Spreizkamin noch gut voran. Doch je höher wir steigen umso enger und überhängender wird er. Ganz zum Schluss ist es nur noch ein Handriss mit verdammt wenig Griffen und noch weniger Tritten. Aber es geht dann doch besser als gedacht. Mit ein paar Friends abgesichert und kontrollierten Zügen an kleinen Fingerleisten erreichen wir einen weiteren Kamin.

Während der Anstrengung in der „Black Snake“ bemerken wir gar nicht, dass es wieder zu schneien beginnt. Doch an Umkehr ist jetzt nicht mehr zu denken, denn die letzte Schlüsselstelle ist geknackt.

In einer tiefen Rinne, in der wir es neben großen Eiszapfen nicht sehr gemütlich finden, klettert Walter über eine leicht überhängende Platte nach links hinaus in den Nebel. Lange passiert nichts… Erst als wir mit einem Jubelschrei von oben aus unserer Lethargie erwachen, wissen wir, dass wir es heute schaffen werden. Ein weiterer Freudenschrei, der Gipfel ist fast erreicht. Vor uns liegt nur noch eine Seillänge in leichter Kletterei bis zum höchsten Punkt. Auf dem Gipfel ein kurzes Bergheil und schnell ein paar Fotos, denn der Schneefall wird immer heftiger. Unser Gipfelglück versuchen wir auf „später“ zu verlegen, da der Abstieg noch lange und nicht einfach wird. Denn über die Route geht es in teilweise überhängender Abseilfahrt zu Tale. Der Wind und der immer heftiger werdende Graupelschauer erschweren das sichere Vorwärtskommen. Man versteht teilweise sein eigenes Wort nicht mehr, so laut ist der Sturm geworden. Alle drei sind wir bis aufs Äußerste konzentriert und bedacht jeden Handgriff und Knoten zweimal zu überprüfen. „Denn wirklich oben bist du erst, wenn du wieder unten bist“. So lautet ein treffender Bergsteiger Spruch.

Es ist bereits spät am Nachmittag, als wir Patsch nass den sicheren Wandfuß erreichen und uns glücklich in die Arme fallen. Wir haben es geschafft…

Am anderen Morgen erwacht die Landschaft in einem weißen Winterkleid. Wie aus Samt und Seide wirken die großen Blumen im erstrahlten Sonnenlicht. Wir sind froh, dass wir endlich unserem Gipfelglück freien Lauf lassen können.

 

13. August 2007

Wir wollen heute nochmals zum Rotpunkt-Klettern in die „African Skyline“ und anschließend die letzten Fixseile aus der Wand holen. Es hat so viel geschneit, dass der Boden weiß bedeckt ist, was für uns aber auch bedeutet, dass wir warten müssen, bis der Schnee aus der Wand schmilzt. Inzwischen ist der Himmel wieder sternenklar, unter uns  ein riesiges Wolkenmeer, aus dem nur die umliegenden Gipfel eindrucksvoll herausglitzern.

Lena nützt die Wartezeit für die Suche nach einer kleinen Edelstahlplatte mit einer schönen Inschrift, die sie vor der Abreise in Ihrem Rucksack verstaut hatte. Als sie endlich gefunden ist, signalisiert uns Lena mit dem Handbohrer diese doch am Einstieg anzubringen. So würde uns warm und die Zeit wäre nicht vergeudet. Munter wechseln wir uns ab um ein kleines Bohrloch in den eisenharten Fels zu treiben, an dem wir die kleine Einstiegstafel anbringen können. Als die ersten Sonnenstrahlen die Wand erreichen, sind wir fertig und steigen entspannt und fröhlich in unsere neue Route. Immer wieder finden wir gute Motive für den Film, auf den wir uns jetzt schon freuen.

 

14. August 2007

Wir frühstücken erst spät. Unser heutiges Ziel ist eine weitere Erstbegehung am Krapf Rognon, dem Vorbauturm der Ostwand. Wir steigen zu Fuß über den Rücken in Richtung Wandfuß. Von dort inspizieren wir die Strukturen des Felsens und suchen nach einer geeigneten Route.

 

15. August 2007

Wir steigen am untersten Punkt des Vorbaus ein und halten uns kletternd die ersten drei Seillängen immer an dessen Grat bis zu einem Absatz. Hier nützen wir eine kurze Pause, um uns für den steilen Abschnitt vorzubereiten. Zuerst geht es über eine Platte, die mit kleinen Leisten ein genussvolles Klettern ermöglicht. Anschließend folgt die von weitem sichtbare überhängende Verschneidung („Open book“), die gleichzeitig die Schlüsselstelle darstellt. In ausgesetzter Risskletterei überwinden wir mehrere kleine Dächer. Die letzte Seillänge ist ebenfalls anspruchsvoll, stellt aber kein großes Problem mehr dar, geschafft. Oben angekommen fängt es auch schon wieder an zu schneien, so dass wir unser zweites Gipfelglück ebenfalls konservieren müssen. In einer rasanten Abseilfahrt erreichen wir schnell den Einstieg und freuen uns über den schönen Abschluss.

Niels, Lena und Walter