Klettern Tofana di Rozes – Route “Via good by 1999”
Tofana di Rozes Südwand
Wann wird`s mal wieder richtig Sommer
… so ein Sommer, wie er früher einmal war. Dieser Song müsste heuer ganz oben in den Hitparaden stehen. Schon seit Wochen liefert uns eine Westströmung so unbeständiges Wetter, dass man am liebsten auswandern möchte. Doch wohin? Nördlich der Alpen gibt es Überschwemmungen und südlich davon brennt die Erde. Sind wir bereits im Klimawandel angekommen? Ich will nicht schwarzmalen, denn ein paar schöne Tage ließen doch die eine oder andere Klettertour zu.
Eigentlich wollte ich im Laufe des August mit meinem Seilpartner Günter in die Schweiz, um an der Nordwand des Eiger eine schwierige Kletterroute zu wiederholen. Diesen Plan konnten wir aber nicht einmal in unseren Träumen umsetzen, denn kein Mensch steigt bei winterlichen Verhältnissen in diese Wand ein.
Kurzzeitige Alternative
Schnell entschieden wir uns für die sonnigen Wendenstöcke. Die 18 SL lange Route „Frenli „ (7a/A0), die zu den schönsten der etwas schwierigeren Wenden-Klassiker zählt, hatten wir beide schon länger ins Auge gefasst. Doch je näher wir unserem Abreisetermin kamen, desto mehr regnete es am Nordrand der Alpen. Die Schneefallgrenze sank unter 2000 Meter, so dass wir auch diesmal unseren Plan nicht annähernd verwirklichen konnten.
Dolomiten oder Gardasee
Als letzte Option blieben uns jetzt die Dolomiten. Denn für den Süden der Alpen wurde ein Zwischenhoch angekündigt. Und falls dieses nicht stark genug sein sollte, gäbe es immer noch den Gardasee mit weit ausladenden Überhängen für Schlechtwettertage.
Günter erzählte mir am Telefon von neuen, mit Bohrhaken abgesicherten Routen am Tofana Pfeiler. Auch ich hatte schon davon gehört. Allerdings nichts Ermunterndes. Denn wenn Kletterer aus Südtirol bei alpinen Routen Bohrhaken einsetzen, dann sind diese meist wie Nadeln im “senkrechten Heuhaufen” zu suchen.
Ein italienischer Kletterfreund äußerte sich dazu nur kurz und prägnant: “Mit Vorsicht zu genießen…”
Anspruchsvoll
Im Topoführer stachen uns drei 10-Seillängenrouten im Bereich 7b bis 7c ins Auge. Pro 35 Meter Seillänge konnte man je nach Schwierigkeitsgrad zwischen zwei und maximal fünf Bohrhaken erkennen. Das bedeutet, dass in einer 7b+ Route durchaus ein 15 Meter Sturz möglich ist. Erschwerend hinzu kommt der nicht als besonders fest bekannte Dolomitenfels.
“Die werden halt nur da gebohrt haben, wo es unbedingt notwendig ist. Dazwischen muss man vermutlich selbst absichern oder einfach mutig weiterklettern bis was kommt.”
Mit dieser Einstellung fuhren wir frohen Mutes den Dolomiten entgegen.
Sonnenschein und reichlich Andrang bei den Klassikern
Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen die Tofana Südwand in ein herrliches Goldlicht tauchten, waren wir nach einer eisigen Nacht sofort heiß auf das was uns erwartete. Überraschend viele Kletterer zogen mit uns hinauf zu den Tofanapfeilern. Wir hatten schon Angst, an unserer Route anstehen zu müssen. Weit gefehlt! Wenige Meter vor dem Einstieg standen wir auf einmal alleine da – nach wie vor sind die Klassiker in den Dolomiten gefragt: Dort bildeten sich regelrechte Menschentrauben. Nach längerem Suchen fanden auch wir unseren Einstieg.
Zehn Meter bis zum ersten Haken
Ein Haken in rund zehn Meter Höhe ließ den Routenverlauf erahnen. 6a+ in senkrechtem Dolomitengelände ist für “Lokals” wahrscheinlich mit Spazierengehen gleichzusetzen; mitunter sichern die auch im neunten Grad noch mit Normalhaken. Wir aber waren heuer meist in Klettergärten unterwegs. Bei den 6a+ Routen am Rottachberg sitzt in zehn Meter Höhe die Umlenkung und nicht, wie hier, der erste Haken.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl und eisig kalten Händen stieg ich ein. “Nur nicht nach unten schauen und konzentrieren”, dachte ich mir. Nach dem ersten Haken fiel mir ein Stein vom Herzen, die Bewegungen wurden flüssiger. In der zweiten Seillänge ging es dann gleich richtig los: 7a auf 35 Meter Strecke, mit fünf Bohrhaken gesichert. Keile bedeuteten in dem relativ geschlossenen Fels nur unnötiges Zusatzgewicht. Doch es ging. Das Gestein ist erstaunlich fest und griffig. Trotzdem: Wer nicht aufpasst sitzt schnell in einer Sackgasse. Ein Versteiger sechs bis acht Meter über dem Haken ist dort oben weniger ratsam. Ich bekomme jetzt noch schweißnasse Hände, wenn ich nur daran denke…
Lange und anhaltend schwere Passagen
Immer mehr kamen wir mit der Situation zurecht. Es ging gut voran. Die Schlüsselseillänge 7b+ startet von einem großen Band in eine gelbe, leicht überhängende Wand. Der erste Haken steckt wieder hoch, eigentlich viel zu hoch. Denn ein möglicher Sturz würde schmerzlich, sehr schmerzlich auf einem Absatz enden.
Günter ist an der Reihe. Er denkt nicht lange nach, konzentriert sich und steigt ein. Wieder geht es besser als gedacht, doch die Passage ist lang und anhaltend schwer. Immer wieder sucht er nach Ruhepunkten; er sucht vergeblich. Schwindende Kraft und dahingehende Ausdauer zwingen ihn zur Flucht nach oben. Und er schafft es. Der Nachstieg fällt um einiges leichter, fast möchte ich sagen, dass es Spaß gemacht hat. Doch ein letzter Blick nach unten auf das Band signalisiert mir nochmals die Ernsthaftigkeit dieser Route, schließlich aber auch die Freude, es geschafft zu haben.
200 Meter freihängend über dem Abgrund
Die eingezeichnete Abseilpiste gestaltet sich anders als das was wir normalerweise gewohnt sind. Obwohl ich einige Sicherungen eingehängt habe, hing ich plötzlich am Seilende, 200 Meter freihängend über dem Abgrund. Die Wand, ein Meter von mit entfernt, war nicht mehr zu erreichen. Prusikschlingen hatte ich sorglos nur eine zum Sichern mitgenommen. Mir wurde richtig heiß. Was tun? Wie ein großes Gewicht hing ich an dem 55 Meter langen Seil und konnte es nicht einmal ein paar Zentimeter in Schwingung bringen. Zu gespannt und gedehnt war es. Nach kurzer Ratlosigkeit stabilisierte ich mit Tape einen Karabiner an einem Friend, so dass die Achse nun verlängert wurde. Dann brachte ich mich in die Waagerechte und lehnte mich so weit in Richtung Felswand, bis ich mit meinem Konstrukt nach mehreren Versuchen gerade so den Fels berühren konnte. Immer wieder tippte ich den Friend schwungvoll an die Wand, um wenigstens etwas Pendelenergie entwickeln zu können. Dabei musste ich aber aufpassen, nicht selbst aus dem Gleichgewicht zu fallen und kopfüber im Seil zu hängen.
Nach mehreren Versuchen klappte es dann. Ich begann mich zu bewegen und drehte nun die Füße in Richtung Wand. Der Schwung wurde stärker und stärker, bis ich endlich einen alten Normalhaken im Fels erhaschen konnte. Schnell klippte ich ein und atmete tief durch.
Nach einer halben Stunde “zappeln” stand ich wieder auf einem kleinen Absatz in Sicherheit. Günter war ganz überrascht, als er später von mir hörte welch Drama sich beinahe abgespielt hätte. Denn während meines Malheurs konnte er mich weder hören noch sehen.
Am Abend feierten wir bei Rotwein und gutem Essen ausgiebig in der “Dibona Hütte” unsere On sight-Begehung der Route “Via good by 1999” (10 SL/7b+, weite Hakenabstände).
Bericht von 2006