Walter Hölzler – Vom Skirennläufer zum Extrembergsteiger
Ein Interview von Pat Schwarzmann, den Inhaber der Seite: allgaeu-plaisir
Lieber Pat, es freut mich sehr, dass du mich auf deiner Homepage erwähnen möchtest. Es ist mir eine Ehre. Gleichzeitig danke ich dir für die Arbeit des Routen Erschließens. Den großen Aufwand kann man nur einschätzen, wenn man selbst Klettertouren eröffnet hat. Gerade in den Tannheimern bin ich sehr gerne auf deinen Wegen unterwegs.
Walter, du zählst sicher zu den erfolgreichsten Allround-Bergsteigern bzw. Kletterern aus dem Raum Allgäu. Du hängst es nie an die „große Glocke“. Und was die Wenigsten wissen: Anfang der 1980er-Jahre warst du zunächst Mitglied der Deutschen Ski-Nationalmannschaft im Abfahrtslauf. Wie hast du diese Zeit damals erlebt?
Während der 1980er Jahre erlebte das alpine Skifahren einen Höhepunkt in den Alpen. Vom Klimawandel wurde noch wenig gesprochen. Der Wintertourismus boomte und das Allgäu profitierte von unzähligen Wintersportlern. Fast jedes einheimische Kind lernte Skifahren und man traf sich nachmittags auf der Piste. Große Idole waren Skirennläufer, besonders dann, wenn sie zu den Weltcuprennen ins Allgäu kamen. Meine Eltern arbeiteten beide als Skilehrer. Mich steckte man in den Skiclub, weil ich da nachmittags und am Wochenende gut aufgehoben war. Ab dem Alter von ca. 10 Jahren war mir klar, dass ich professioneller Skirennläufer werden möchte. Sommer wie Winter trainierte ich dafür. Eines Tages wollte ich die große Bühne des Weltcupzirkus betreten, so der Traum. Jahr für Jahr kam ich diesem näher. Mit 16 Jahren durfte ich als jüngster Weltcupteilnehmer auf der berühmten Kandahar Piste in Garmisch-Partenkirchen starten. Unfassbar, bereits als Jugendlicher im Kreise der weltbesten Rennläufer angekommen zu sein. In der gleichen Saison errang ich den Deutschen Meistertitel der Junioren im Abfahrtslauf und verpasste um Haaresbreite (4 Hundertstel) die Bronze Medaille bei der Junioren Weltmeisterschaft in Frankreich. Besser hätte es nicht laufen können.
Warum hast du, trotz deiner Erfolge, so abrupt mit dem Skirennlauf aufgehört und stattdessen mit dem extremen Bergsteigen angefangen? Und wann hast du überhaupt mit dem Klettern angefangen?
Bergsteigen war neben dem Skirennsport schon immer meine große Leidenschaft. Mein Vater war Tourenleiter beim DAV. Ab und zu nahm er mich auf größere Bergtouren mit. Ich liebte die Freiheit und das Abenteuer in den Alpen. Kletterhallen und gut eingerichtete Fels-Klettergärten gab es damals noch nicht. Alternativ suchte ich daheim mit Freunden nach Trainingsmöglichkeiten. In dem Bauernhaus meines Großvaters nagelten wir Holzlatten als Griffe und Tritte an die Rückwand des Heuschobers. Im Toprope ging es auf und ab. Zudem erlernten wir an 10 Meter hohen Nagelfluh Felsen in meinem Heimatort einfache Seiltechniken.
Als Jugendlicher traute ich mich bereits in die schwierigsten Routen der Allgäu Alpen. Schneck Ostwand, Wilden Verschneidung und die Tannheimer Südwände waren begehrte Ziele, die mit dem Fahrrad erreichbar sind.
In dieser Zeit entwickelte sich das alpine Sportklettern in den Alpen rasant. Namen wie Reinhard Karl, Wolfgang Güllich und Kurt Albert kannte man als die großen Kletterpioniere aus dem Frankenjura und der Pfalz. Auch wir probierten im Allgäu diverse Technorouten bis zum 7. Grad frei zu klettern. Das war spannend, aber auch saugefährlich. Denn rostige Normalhaken hielten zwar das Körpergewicht für eine technische Fortbewegung mit Strickleiter, doch meist nicht mehr. Stürzen war verboten. Niemand konnte sagen, welches Gewicht die Felshaken in Wirklichkeit aushalten.
Und genau das passierte mir in der Roten Flüh Südverschneidung. Wegen einem Griffausbruch stürzte ich ab und riss wie in einem Reißverschluss viele der Rostgurken aus der Wand. Letztendlich hielt mich das Sicherungsseil erst nach einer Fallhöhe von ca. 38 Meter. Schwer verletzt musste ich mit dem Hubschrauber geborgen werden. Damals war die Bergwacht noch recht unerfahren für solch problematische Rettungsaktionen. Es dauerte mehr als 5 Stunden, bis ich endlich in Richtung Uniklinik Innsbruck transportiert werden konnte. Eine Ellenbogenverletzung und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma wurde diagnostiziert. Auf Grund innerer Schwellung im Kopf erlitt ich eine Sehnerv Blockierung. Ich schielte ein halbes Jahr und wusste nicht, ob ich jemals wieder Abfahrtsrennen bestreiten darf. Das Gefühl für räumliches Sehen war mir abhandengekommen.
Nach mehreren Untersuchungen in diversen Spezialkliniken bekam ich doch noch das „Go“ für weitere Abfahrtsrennen und den Verbleib in der Skinationalmannschaft. Ich kämpfte mich ehrgeizig wieder nach oben und zählte Mitte der 1980er Jahre zu den besten Junioren Abfahrtsläufern der Welt. Doch die immer schwierigeren Pisten im Europacup und Weltcup forderten ihren Tribut. Dreimal innerhalb zwei Jahren stürzte ich und verletzte mich dabei. Niemand weiß genau, ob nicht doch die Reaktionsfähigkeit oder der Gleichgewichtssinn auf Grund meines Kletterabsturzes beeinträchtigt war. Bei Ski-Geschwindigkeiten von mehr als 100 Km/h kann man nur bestehen, wenn man zu jedem Moment Top fit ist. 95% ist zu wenig, weil sich dann Unachtsamkeiten einschleichen können. Körperlich war ich zwar ein Muskelpaket, doch psychisch wurde es immer schwieriger, innere Ängste und Zweifel zu unterdrücken. Mir war klar, welche Auswirkungen ein Fahrfehler haben kann. Nämlich schwere Verletzung, im schlimmsten Fall mit bleibenden Schäden. Es gab niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Erst recht nicht, wenn kurz vor dem Start ein mulmiges Gefühl auftauchte. Es war zu spät, ich musste da runter. Im internationalen Ski-Weltcup besteht nur der, der keine Schwächen zeigt.
Irgendwann schlich sich das Gefühl bei mir ein, dass auch gewisse Funktionäre nicht mehr voll hinter mir stehen. Was sollte ich tun? Ich war so allein mit meinen Problemen…
In einer Art Kurzschlussreaktion beendete ich während eines Telefongesprächs mit dem Nationaltrainer die hoffnungsvolle Karriere. Als der Hörer aufgelegt war, bereute ich den Schritt schon wieder. Doch keinen vom Deutschen Skiverband interessierte das. Jahrelang hatte ich mit der Enttäuschung zu kämpfen.
Schon bald nach deiner Skirennläufer Karriere hast du recht extreme Bergtouren unternommen. Oftmals allein. War das eine Art Ausgleich zum Rennsport?
Ja genau, denn nach meinem Rücktritt fiel ich in ein tiefes seelisches und moralische Loch. Mein ganzer Zukunftsplan, den ich mir zurechtgelegt hatte, zerplatzte wie eine Seifenblase. Ich suchte nach einem Puffer, der körperlichen Ausgleich schaffte. Da kam mir das Bergsteigen, meine heimliche Leidenschaft, gerade recht.
Als 20-jähriger war ich konditionell voll austrainiert, aber zum Sportklettern zu groß und zu muskulös (zu schwer). Somit entdeckte ich für mich die großen Wände der Alpen. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich immer noch zu Höchstleistungen fähig bin. Aber diesmal ganz ohne Wettkampf, Zuschauer und Medaillen Druck.
Zuerst kletterte ich in 2,5 Stunden solo durch die Ortler Nordwand. Ein Jahr später arbeitete ich an einem großen Projekt. Ich wollte die Matterhorn Nordwand im Alleingang durchsteigen. Ein waghalsiges Unternehmen, da es zu dieser Zeit noch keinen zuverlässigen Alpinwetterbericht gab. Auch Handy und soziale Medien, in denen man Begehungsberichte zeitnah ablesen konnte, kannte man nicht. Die einzige Möglichkeit bestand aus einem Onsight-Versuch.
Wie es mir in der Matterhorn Nordwand erging, kann man HIER nachlesen:
In der Südverschneidung der Roten Flüh hattest du als 16-jähriger ein fatales Erlebnis. Hat sich daraufhin deine Einstellung zur Absicherung von Kletterrouten verändert?
Auf jeden Fall. Mir wurde schnell klar, dass schwieriges Klettern in brüchigem Gestein, wie es im Kalkfels oftmals vorkommt, große Gefahren mit sich bringen kann. Auf Grund negativer Erlebnisse schlug ich mich schon sehr früh auf die Seite der Bohrhaken Befürworter. Das Festhalten an Traditionen ist meiner Meinung nach im Klettersport fehl am Platz. Denn es geht im schlimmsten Fall um Leben und Tod. Möglicherweise hätte ich an einer Olympiade teilnehmen können, wenn ich nicht so weit abgestürzt wäre.
Es wird weiterhin die Normalhaken Kletterer geben. Doch diese Gruppe ist überschaubar klein und findet deshalb genügend Betätigungsfeld in den Alpen. Beim allgemeinen Sport- wie auch Alpinklettern haben sich Bohrhaken durchgesetzt.
Schade finde ich nur, wenn Sportklettergärten wie Kletterhallen zu gebohrt werden. Eigenständige Linien verlieren dadurch ihren Charakter.
Man hätte vermuten können, dass du mal Skitrainer wirst und nicht Klettertrainer. Wie kam es dazu?
Nach meinem nicht ganz freiwilligen Rücktritt aus der Skinationalmannschaft, wollte ich mit dem Skirennlauf nichts mehr am Hut haben. Ich sah den Spitzensport auf einmal mit anderen Augen. Es gibt in großen Sportverbänden ganz viele Menschen, die am Erfolg arbeiten. Doch der Sportler als Individuum wird nur dann richtig wahrgenommen, wenn er siegreich ist. Das Thema Sozialkompetenz und Menschlichkeit findet wenig Platz im Hochleistungssport.
Mitte der 1990er Jahre entstanden drei neue Trendsportarten. Snowboard, Mountainbike und Sportklettern. Ich wollte als leidenschaftlicher Kletterer meine Erfahrungen, positiv wie negativ, in die neue Disziplin Wettkampfklettern mit einbringen. Das war aber sehr schwierig, denn die meisten Sportkletterer sind Individualisten und wollten nichts mit Verband und Trainer zu tun haben. Zudem konnte ich als muskulöser, ehemaliger Skirennläufer den 10. Schwierigkeitsgrad nicht demonstrieren. Provokativ fragten mich die Wettkampfkletterer: „Was willst du mir zeigen? Du kommst ja selbst nicht hoch“.
Es dauerte lange bis ich Sportler fand, die erkannten, dass ein Trainer im Spitzenniveau nicht vorklettern muss, sondern viel mehr als Coach tätig ist. Dieser schafft die Rahmenbedingungen für optimales Training und Wettkampf. Er analysiert Stärken und Schwächen der Athleten und erstellt individuelle Trainingspläne. Und ganz wichtig: Er muss wissen, wie man mit Menschen umgeht, so dass sie bereit sind, zum vorgegebenen Zeitpunkt ihre Höchstleistungen abzurufen.
Viele Jahre war ich Stützpunkttrainer der deutschen Sportkletternationalmannschaft und trainierte auf Weltcupniveau. Dazu bildete ich mich ständig weiter und konnte erstmals für den DAV an der Trainerakademie in Köln das Studium zum staatl. gepr. Diplomtrainer Sport- und Wettkampfklettern abschließen.
Wenn man den Allgäu-Kletterführer liest, stößt man immer wieder auf deinen Namen. In den Tannheimer Bergen hast du einige in Vergessenheit geratene Extrem-Klassiker saniert. Nach und nach kamen auch schwierige Erstbegehungen dazu. Auf welche Routen bist du besonders stolz?
Ich denke, auch du Pat hast an den Zwerchwänden in den Tannheimer Bergen ein paar Ultraklassiker hinterlassen, auf die du richtig stolz sein kannst. Viele Kletterer genießen unvergessliche Stunden in deinen Routen.
Meine Touren an den Südwänden von Hochwiesler und Roter Flüh, werden nicht so oft durchstiegen, weil sie weitere Hakenabstände aufweisen. Aber auch für mich gilt der Grundsatz: Bohrhaken sind dafür da, um Unfallrisiken zu minimieren.
Die Mischung aus deinen Plaisirrouten und den Routen mit etwas weiteren Hakenabständen küren die Tannheimer Berge zu einem der besten alpinen Sportklettergebiete in den nördlichen Kalkalpen.
Besonders stolz bin ich auf „Sturm im Paradies“, „Spiderman“, „Schwarze Mamba“ und „Highway der Träume“ an der Roten Flüh und Hochwiesler Südwestwand.
Das größte Highlight in den Tannheimer Bergen ist für mich die „Schrei aus Stein“ an der Gimpel Nordwand. Mit meiner damaligen Freundin Lena war ich einen ganzen Sommer beschäftigt, um die 16 Seillängen Route bis zum Schwierigkeitsgrad 9- von unten zu eröffnen. Nach diesem großartigen Erlebnis mit teils schwierigen Momenten in der Wand (z. B. Gewitter) war mir klar, dass ich meine (Kletter)- Partnerin heiraten möchte.
Auszüge deiner Alpinen Highlights sind auf deiner Seite unter Werdegang näher beschrieben. Aus der Fülle fällt es mir schwer, ein Thema aufzugreifen. Vielleicht kannst du etwas über den Bernina-Express in 24 Stunden erzählen …
Der Piz Palü gehört für mich zu den schönsten Bergen in den Alpen. Ich liebe das Gebiet in der Nähe von St. Moritz. Die drei Nordwandpfeiler sind formschön und ziehen einen Alpinisten magisch an. Alle drei Routen, die darüberführen, sind mehr oder weniger große Tagestouren für Könner. Mehrfach, als ich vor der Diavolezza Hütte saß, kam in mir die Frage auf, ob es möglich wäre alle Pfeiler an einem Tag zu erklettern. Doch dieses Hirngespinst schob ich immer wieder zur Seite. Für mich eine Nummer zu groß. Einige Jahre später las ich in der Zeitschrift des Schweizer Alpenclubs, dass Erhard Loretan das Projekt umsetzen konnte. Kein Wunder, er kommt aus dem Gebiet und zählte damals zu den weltbesten Höhenbergsteigern. Erhard Loretan war der zweite Mensch, der nach Reinhold Messner alle 14 Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff erreichte.
Und wieder kam ich ins Grübeln. Denn ich war mir sicher, dass ich mich zumindest konditionell nicht vor großen Alpinisten verstecken muss. Und auf einmal entstand ein noch kühnerer Plan. Zurück zu den Ursprüngen, lautete mein Vorsatz.
Ich wollte die Tour dort starten, wo auch ganz früher die Bergsteiger begannen. Nämlich am letzten regelmäßig angefahrenen Bahnhof vor dem Piz Palü. Dieser befindet sich im mondänen Kurort St. Moritz und liegt mehr als 20 Kilometer vom eigentlichen Startpunkt entfernt.
Die ganze Geschichte des Berninaexpress mit Videoclip gibt es HIER:
Deine Tourenliste gleicht einem Marathon durch namhafte und schwierige Alpen-Wände: Rätikon, Wendenstöcke, Dolomiten, Chamonix, um nur einige Stationen zu nennen. Welche Erlebnisse sind dir dabei besonders in Erinnerung geblieben?
Oh, das sind sehr viele. Und jede Tour erzählt ihre eigene Geschichte. Dafür gibt es zum Glück meine Homepage, sonst hätte ich schon mehrere Abenteuer vergessen.
Mit etwas Stolz blicke ich auf ein paar Erstbegehungen in angesehenen Kletterdestinationen der Alpen zurück.
“Palast der Winde” – Drei Zinnen – Dolomiten (ITA)
“Schwarzer Diamant” – Rätikon – Schweiz
Du hast auch zahlreiche Solo-Unternehmungen in Fels und Eis unternommen. Allein braucht man ein gutes Nerven-Kostüm. Gab es dabei Situationen, wo du dir einen Seilpartner gewünscht hättest?
Eine Zeit lang war ich sehr viel solo unterwegs. Fast nie in reinen Felsrouten, da mir die Gefahr eines Griffausbruches zu hoch erschien. Aber in winterlichen Mixedtouren fühlte ich mich sehr wohl, weil ich wusste, dass ich konditionell stark bin. Und mein Nervenkostüm hatte ich während der Skirennläuferzeit auf Hochgeschwindigkeitspisten sehr gut austrainiert.
Vor großen Alpenwänden, oft im winterlichen Montblanc Gebiet, hatte ich mich meist wochenlang vorbereitet. Es waren nie spontane Aktionen. Ich trainierte wie auf einen Wettkampf, weil ich wusste, es muss alles passen. Mehrfach kletterte ich Eiswasserfälle zum Training im Alleingang, um mich technisch und moralisch einzustimmen. Es hat dann auch immer alles gepasst. Außer bei meiner ersten Solo Tour in der Matterhorn Nordwand (siehe Bericht weiter oben). Da war ich jung und unerfahren. Als mir ein Handschuh runterfiel und mein Eisbeil kaputt ging, verlor ich fast die Nerven…
Heute bin ich heil froh, die „Solo-Zeit“ hinter mir gelassen zu haben. Es gehört nicht nur bergsteigerisches Können dazu, sondern auch viel, viel Glück. Das habe ich erst im Laufe der Jahre, teils schmerzlich erfahren müssen.
Free solo Klettern ist die reinste und natürlichste Form des fairen Alpinismus. Doch was bringt dir das, wenn du abstürzt und tot bist. Allen jungen Bergsteigern rate ich: „Lasst es sein!“.
Wer auf diesem Niveau unterwegs ist, kommt am Yosemite-Valley fast nicht vorbei. Du warst auch in einigen Bigwalls unterwegs. Wie waren deine Eindrücke?
Als junger Alpinist hatte ich viel über das Yosemite Valley gelesen. Ich musste dort hin. Und als ich erstmals vor dem El Capitan stand, war ich überwältigt. Ich wollte unbedingt durch diese 1000 Meter hohe Felsmauer klettern. Das schaffte ich dann auch. Während zwei Aufenthalten gelangen mir 5 Routen am El Cap, sowie die Durchsteigung der Half Dome Nordwestwand, sowie weitere Mehrseillängenrouten im legendären Tal. Keines dieser Abenteuer möchte ich missen.
Hier eine kleine Geschichte dazu:
Bei deinen Unternehmungen denkt man oft an schwierige Felsfahrten. Auf deiner Internetseite stößt man aber auch immer wieder auf Berichte über’s Höhenbergsteigen. Was war deine Motivation und mit welchen Bergen hast du damals angefangen?
Als 21-jähriger begann ich mit der Ausbildung zum staatl. gepr. Berg und Skiführer. Mit in der Aspiranten Gruppe waren unter anderem Alexander Huber (Huber Buam) und Robert Jasper (Extrem Eiskletterer). Ein absolutes Top Niveau, das mich anspornte.
Während eines Lehrganges sprach der Kursleiter Peter Geyer, über eine internationale Bergführer Expedition im kommenden Jahr zu zwei Achttausendern in Tibet. Er meinte, das wäre doch was für dich. Man benötigt gute mentale und physische Ausdauer, sowie Leidensfähigkeit. All das ist doch vorhanden. Ich wusste nicht, ob es ernst oder als Witz gemeint war. Denn zu diesem Zeitpunkt konnte ich als höchst erreichten Punkt nur den Gipfel des Matterhorns mit 4478m nachweisen.
Doch auf einmal lies mich eine Frage nicht mehr los. Kann ich in der Todeszone ohne künstlichen Sauerstoff überhaupt bergsteigen? In der damaligen Fachliteratur, war zu lesen, dass junge Alpinisten physisch wie psychisch meist nicht ausgereift sind, um in extremen Höhen zu bestehen. Somit hatte ich es schriftlich.
Deutsche 8000er Expeditionen waren in den 1980er Jahren auch sehr selten, weil es noch keine kommerziellen Veranstalter gab. Man hatte also fast keine Möglichkeit in den Himalaya zu gelangen. Schon deshalb musste ich meine Chance, die sich mir unerwartet auftat, wahrnehmen. Sollte die Gipfelbesteigung nicht funktionieren, hätte ich zumindest viel gelernt, aber auch viel Geld verloren. Egal, ich wollte die höchsten Berge der Welt sehen und trainierte wie ehemals im Spitzensport auf die neunwöchige Expedition. Das war notwendig, denn wir wollten „by fair means“ d. h. ohne Träger und ohne künstlichen Sauerstoff unterwegs sein.
HIER der Bericht zur Expedition:
Welche Expeditionen haben dich auf anderen Kontinenten besonders beeindruckt?
Ganz eindrücklich und besonders war die Erstbegehung der „African Skyline“ am Mt. Kenia.
Die Erstbegehung des direkten Südwestpfeilers des 6454 hohen Bhagirahti III in Indien war für dich der Höhepunkt deiner Expeditions-Karriere. Du hast insgesamt drei Anläufe in einem Zeitraum von acht Jahren gebraucht. Was machte diese Route so besonders?
Mein größter Bergsteigerwunsch war, an einem bekannten Himalaya Gipfel eine Magic- Line zu kreieren. Ähnlich wie die „Eternal Flame“ am Nameless Tower. Diese Route wurde von Wolfgang Güllich und Kurt Albert im Karakorum erstbegangen und hat heute noch Kultstatus für Extremkletterer. Lange suchte ich, bis ich vor meinem Traumberg stand, an dem ich eine wunderschöne Kletterlinie entdeckte. Die Route sollte bestenfalls frei kletterbaren Fels aufweisen, wenig objektive Gefahren mit sich bringen und ordentlich absicherbar sein. Es ging mir nicht um Leben und Tod, sondern um ein großes Abenteuer, von dem Wiederholer noch lange schwärmen sollten.
Doch wie so oft tun sich manchmal tiefe Gräben zwischen Traum und Wirklichkeit auf. Einmal hatte ich nicht die richtigen Kletterpartner dabei und zum anderen Mal schneite es ohne Ende. Doch das Projekt lies mich nicht los, denn ich wusste, dass es möglich sein kann. Letztendlich hatte ich beim dritten Anlauf das notwendige Quäntchen Glück und den richtigen Partner an meiner Seite, um bis zum Gipfel zu steigen. Die Route „Stairway to Heaven“ wurde im American Alpine Journal veröffentlicht und erhielt internationale Anerkennung.
Bis heute gab es meines Wissens drei Versuche für eine Zweitbegehung.
Erfolgreich war aber noch kein Team. Das Problem liegt nicht nur an den Schwierigkeiten bis zum 9. Grad, sondern am schnell wechselnden Wetter. In Indien gibt es bis heute noch keine Hubschrauberteams, die Kletterer bei Notfällen aus steilen Wänden retten können. Auch das ein psychologischer Faktor, der eine große Rolle spielt.
Videotrailer zur Route:
Deiner Routenliste ist zu entnehmen, dass du auch auf einigen 7000ern gestanden bist …
Eine meiner schönsten Expeditionen war die Besteigung des Pumori, 7161m (Tochter des Mt. Everest). Ein herrlicher aber eher selten bestiegener Gipfel, direkt neben dem höchsten Berg der Welt. Im 36-stündigen Alleingang von Basislager zum Gipfel und wieder zurück ins Basislager funktionierte einfach alles.
HIER der Bericht zur Expedition:
War der Everest auch jemals ein Thema für dich? Dass du den draufhättest, scheint mir ziemlich klar …
Ja klar war der Everest ein Thema. Am Gipfel des Pumori habe ich direkt rüber geschaut und von einer Besteigung geträumt. Am besten ohne künstlichen Sauerstoff. Finanziell war das aber nicht möglich. Nach mehreren kleinen Expeditionen mit zahlenden Gästen, eröffnete sich mir die Gelegenheit als Expeditionsleiter eines kommerziellen Veranstalters zum Everest zu reisen. Leider wurde uns das Tibet-Permit aus politischen Gründen kurzfristig entzogen. Danach artete der Expeditionstourismus Jahr für Jahr immer mehr aus, sodass ich die Lust daran verlor. Touristenbergsteigen mit allen Mitteln entspricht nicht meiner Idee der fairen Auseinandersetzung mit Berg und Natur. Mt. Everest und weitere 8000er verschwanden auf der Wunschliste.
In den Allgäuer Klettergärten hast du auch einige Linien erstbegangen. Welchen Stellenwert hat eigentlich das Sportklettern für dich und was war bisher deine schwierigste Route?
Wie Anfangs erwähnt, hatte ich riesige Lust am Sportklettern. Zumal das auch die Grundlage für alpines Klettern ist. Doch wegen meines muskulösen Körperbaus mit kräftigen Skifahrer Oberschenkeln war ich einfach zu schwer, um schwierige Routen zu meistern. Dennoch trainierte ich regelmäßig und zielgerichtet, um das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten herauszuholen.
Anmerkung: Wirklich schade, dass es keine Gewichtsklassen beim Sportklettern gibt (lach..)
Die schwierigste von mir eingerichtete und Rotpunkt gekletterte Route im Allgäu ist der „Große Falkenweg“ 9+ am Rottachberg.
Im alpinen Sportklettergelände gibt es am Wildhauser Schafberg (Schweiz) eine Linie von mir. Ich taufte sie „Tanz auf dem Regenbogen“. Mit 8+/9- ist diese sicherlich nicht unterbewertet. Als Direkteinstieg passt ein altes Projekt von Schweizer Kletterern.
Sie nannten es „Größenwahn“, weil sie den Rotpunktdurchstieg nicht schafften.
Nach unzähligen Versuchen konnte ich die zwei 25m Seillängen zu einem Stück verbinden (50m Seillänge) und Rotpunkt klettern. Leistungsfähige Sportkletterer, die ich in die „Größenwahn“ schickte, schätzten den Schwierigkeitsgrad auf 10-. Dieser Vorschlag wurde aber noch nicht bestätigt, weil es meines Wissens keine vollständige Wiederholung von „Größenwahn“ und „Tanz auf dem Regenbogen“ im Rotpunktstil gibt. Echt schade, denn der Fels ist genial.
Topo zur Route:
Der bekannte Extrem-Bergsteiger Robert Steiner hat einmal bemerkt: „mir ist klar geworden, wieviel in den Bergen passieren kann und dass früher oder später etwas passieren wird. Dies ist nur eine Frage der Zeit …“. Ich erinnere mich an einen Bericht von Chamonix, als du in eine Gletscherspalte gefallen bist. Was ist damals geschehen?
Der Spruch von Robert Steiner hat schon was Wahres.
Chamonix gehörte lange zu meinen Hausgebieten für große Wände und Skiabfahrten. Vor allem im Winter, wenn die Gletscher tief zugeschneit und die Felsen fest zusammengefroren sind. Dann ist das Risiko für objektive Gefahren recht überschaubar.
Bei einer meiner letzten großen Winterrouten lief alles perfekt, bis wir am Gipfel des Mt. Maudit, 4465m die Abseilpiste nicht fanden und einen Umweg über die Nordseite machen mussten. An der Cosmiques Hütte (Aig du Midi/FRA)) angekommen, war mein Kletterpartner zu erschöpft, um zum Ausgangspunkt (Turiner Hütte/ITA) zurückzukehren. Das war aber wichtig, da wir Tourenski mit einem Rucksack incl. Geldbeutel, Reisepass und Autoschlüssel am Einstieg der Route deponiert hatten. Beim Aufbruch war nämlich die Idee, über die Abseilpiste zum Depot zurückzukehren. Doch nun war alles anders, weil wir auf der Rückseite standen und der Wetterbericht für die nächsten Tage heftigen Schneefall voraussagte. Ich musste eine schnelle Entscheidung treffen, da ich die wichtigen Utensilien vor dem Wetterumsturz aus dem Depot bergen wollte.
Kurzentschlossen plante ich den Rest des Weges zur Turiner Hütte allein über die Freeride Piste (Mer de Glace) zurückzulegen. Somit hätte ich die Gelegenheit am nächsten Morgen mit dem Hüttenwirt (Bergführer) alle deponierten Stücke vor dem Schneefall einzusammeln. Gerade Autoschlüssel, Geld und Pass waren essenziell wichtig für die Heimreise. Über das „Mer de Glace“ fahren bei schönem Wetter täglich mehrere tausend Skifahrer ohne Seil nach Chamonix. Die Piste war mit Stangen markiert, gut sichtbar und vereist. All diese Voraussetzungen verleiteten mich zur Annahme, eine alleinige Überquerung des Gletschers, entlang der Skistrecke, sei vertretbar. Im Nachhinein ein fataler Fehler, der mir die schlimmsten Stunden meines Lebens bereitete.
In einem Video über diese Geschichte appellierst du an die Vernunft der Bergsteiger. Was willst du uns damit sagen?
Die Natur befindet sich ständig in Veränderung, gerade jetzt mit dem Klimawandel. Berge brechen im Sommer auseinander und im Winter fällt nur noch wenig Schnee auf die Gletscher. Auf 3500 Meter hatte es vor 20 Jahren ca. 3–5 Meter Neuschnee, die Gletscherspalten waren satt zugeschneit. Heutzutage hat es nur noch 1-2 Meter Schnee und die Gletscherspalten bleiben größer und offener. Erkenntnisse, die man früher mal gewonnen hat, werden innerhalb geraumer Zeit unbrauchbar. Die Natur ändert sich so rasant, dass Erfahrungen aus vergangenen Zeiten nicht mehr der Realität entsprechen.
Ich möchte sagen: „Bleibt wachsam in den Bergen und argumentiert nicht mit Erfahrung“.
In deinen Berichten schreibst du auch viel über die mentalen Belastungen, insbesondere nach Unfällen mit Verletzungen. Wie verarbeitest du das eigentlich? Irgendwie hast du ja immer weiter gemacht …
Schwierig zu sagen. Bergsteigen und Klettern ist nicht nur Sport für mich. Ich liebe es, in den Bergen unterwegs sein zu können und richte große Teile meines Lebens danach aus. Dennoch musste ich in meiner fast 45-jährigen Alpinisten Laufbahn ein paar Mal, teils schmerzlich erfahren welche Konsequenzen eine Fehleinschätzung haben kann. Ich versuche so gut es geht aus der Natur und aus eigenen Fehlern zu lernen. Auch mein Risikomanagement verändere ich ständig. In meinem Alter vermeide ich gefährliche Berg- und Klettertouren und widme mich mehr und mehr dem Plaisir- und Sportklettern. Aber auch da bleibt ein gewisses Restrisiko (z. B. Unfall Voglerwand 2022).
Mein Hausarzt, selbst Sportler, sagte zu mir: „Nur daheim rum sitzen ist ja auch keine Option“.
Deinem jüngsten Bericht ist zu entnehmen, das Thema Erstbegehungen hat sich für dich erledigt. Was hat dich zu dieser Aussage bewogen?
Alpine Routen einrichten bedeutet viel Arbeit, viel Zeit, viel Geld und geduldige Sicherungspartner inkl. Familie. Da muss ich dir nix erzählen Pat.
Ich denke, jetzt ist genug damit. Das Potential an ordentlichem Fels ist bei uns in den Allgäuer Alpen auch nicht mehr so groß, als dass mir eine „Traumlinie“ entgehen würde.
Inwiefern hat die Coronazeit das Bergführen und deine Unternehmungen eingeschränkt?
Die Corona Zeit hat uns Bergführer und Skilehrer erstmal auf null runtergefahren. Das war für mich nicht so schlimm, weil ich nur zum Teil mein finanzielles Einkommen daraus ziehe.
Doch als die Corona Pandemie wieder abflaute, nahm die Arbeit in den Outdoorberufen unverhältnismäßig stark zu. Langfristig gesehen hat die Pandemie den Ansturm auf die Alpen eher befördert. Momentan gibt es in Deutschland zu wenig Bergführer im Verhältnis zur Kunden Nachfrage.
Ein weiteres Thema ist deine Internetseite. Da gibt es eindrucksvolle Tourenberichte, detaillierte Topos und gute Gebietsbeschreibungen. Besonders schön finde ich immer deine Videos zu verschiedenen Themen, z. B. “Klettern in der Türkei”. Die Film-Musik ist übrigens der Hammer, von wem ist die eigentlich? In deine Seite steckst du bestimmt auch viel Zeit rein?
Vielen Dank für das Lob, Pat. Das kann ich nur erwidern. Auch auf deiner Seite lese ich sehr gerne. Mein Partner, die Firma Salomon lud mich zu einem Management Seminar nach Frankreich ein. Dabei hatten wir auch einen Workshop mit professionellen Foto- und Videoleuten. Diese brachten mich auf die Idee, es selbst mal auszuprobieren. Bewegte Bilder sind doch noch mal etwas anderes wie Fotos. Dabei habe ich den Anspruch, nicht nur mit dem Handy ein bisschen herumzuspielen, sondern gute Aufnahmen mit speziellen Kameras zu erzielen. Das gilt genauso für die Fotos auf meiner Homepage. Es gibt fast kein Handybild darauf zu sehen. Ich möchte, wie bei meiner Arbeit als Bergführer, Qualität vermitteln. Das erfordert wiederum Zeit und Arbeit. Hintergrundmusik ist mir wichtig, weil erst dann die Clips Emotionen wecken. Diese herauszusuchen ist aber nicht einfach, wegen der Rechte. Am Ende meiner Clips, findet man meist Infos zur Musik. Das ist notwendig, ansonsten werden die Videoclips auf Plattformen wie YouTube sofort gelöscht.
Welchen alpinen oder privaten Wunsch würdest du dir gerne noch erfüllen?
Ich hoffe, dass ich meine Verletzung durch Griffausbruch im Klettergarten gut kompensiere und 2023 ohne Einschränkung wieder Sport- und Plaisirklettern kann. Als Bergführer möchte ich meinen Gästen bei Privatführungen oder Kletterkursen die notwendige Technik und Umsicht beibringen, so dass sie möglichst gefahrlos ihrem Hobby nachgehen können.
Ich freue mich auf weitere schöne Klettererlebnisse mit meiner Familie, ohne spezielle Ziele. Ich will das Bergsteigen etwas entspannter angehen als früher.
Und dann freue ich mich auf die Realisierung eines Projektes, das seit 2020 läuft. Zusammen mit der Firma Salomon entwickle ich einen stylischen und technischen Allroundschuh, der alle Voraussetzungen für anspruchsvolles Wandern, leichtes Klettern, Zustiege zu Klettertouren und das Begehen von Klettersteigen erfüllt. 2024 kommt dieser auf den internationalen Markt.
Walter, vielen Dank für die Einblicke in dein Bergsteiger- und Kletterleben. Bleib gesund und ich wünsche dir noch viele schöne Unternehmungen.
Pat Schwarzman – www.allgaeu-plaisir.de