Wildhauser Schafberg – “Größenwahn” und “Tanz auf dem Regenbogen”

Anspruchsvolles Klettern über den Haken
Als ich mich in den 80er Jahren ehrfurchtsvoll in den damaligen Extremklassikern  „Alpsteinhammer“ und „Luftschloss“ mehr schlecht als recht hoch gefürchtet hatte, dachte ich nicht im Traum an eine eigene Linie am Wildhauser Schafberg. Denn hier wurde einem gezeigt was anspruchsvolles  Klettern über den Haken bedeutet, ein Tanz am technischen und psychischen Limit. Doch diese Art verlor in der Alpinkletterszene bald seinen Reiz, denn  die Routen wurden immer steiler und die Bohrhakenabstände immer enger.
Ab Mitte der Neunziger Jahre sah man nur noch selten Seilschaften in den psychischen Technoplatten herumtanzen.

Die Szene „junger Wilder“ gib es so nicht mehr
Seit ein paar Jahren, nachdem verschiedene Kletterwege saniert wurden, trauen  sich  nun wieder Leute Hand an den Fels zu legen. Doch die Anzahl bleibt überschaubar. Die Szene „jungen Wilder“, die sich früher aus der Schweiz, Österreich und Deutschland an den Einstiegen getroffen hat, gibt es so nicht mehr.

Die sicherlich schönste Linie an der Südwandplatte
Seit ein paar Jahren projektiere ich an einer der sicherlich schönsten Linien der Südwandplatte. Links von „Bridge of Light“ zieht der „Tanz auf dem Regenbogen“ an einer regenbogenförmigen Kante aus perfektem Kalkfels in eine Plattenwand  die durch einen Überhang abgeschlossen wird. Diese anspruchsvolle, aber gut gesicherte Route hat nur einen Schönheitsfehler. Der Einstieg befindet sich mitten in der Wand. Auf der Suche den Makel abzuschaffen,  entdeckte ich  „Größenwahn“. Ein altes zwei Seillängen Projekt (7a+/A1) durch eine kompakte Plattenzone, direkt vom Wandfuß beginnend. Die Verbindung dieser zwei Wege bietet  sich nahezu an. Doch der Zusatz „A1“ passte nicht zu meinem Freiklettergedanken. Also sanierte ich zuerst einmal die alten Haken und hoffe, im Anschluss eine Rotpunktlösung ausfindig machen zu können.

Für meine Verhältnisse „sau schwer“
Dass sich die Umsetzung schwieriger als gedacht  heraus stellte, merkte ich sehr bald. Nicht umsonst bissen sich scheinbar dort schon andere Spezialisten die Zähne aus. Die Route in bestem Fels war für meine Verhältnisse „sau schwer“ und äußerst komplex zu lesen. So waren die ersten Versuche  nicht besonders ermutigend. Dazu kam ein weiteres Problem. Die  100 Kilometer lange Anfahrt aus dem Allgäu, incl. des Aufstieges zur Wand. Ich weiß nicht wie oft ich dieses Prozedere durchführte, um dann doch  wieder frustriert nach Hause zu fahren. Denn die Aufgabe sich über einen längeren Zeitraum die präzisen Bewegungsabläufe zu merken, war fast nicht lösbar.  Immer wieder kam ich nach mehreren Wochen Abstinenz am Wandfuß an und rätselte welche Griff/Tritt Kombination nun die richtige ist.

„Größenwahn“
Der Routenname „Größenwahn“ hätte treffender nicht sein können. Ich hatte mich in ein Projekt verbissen, in dem ich mir  auf Grund der weiten Distanz von zu Hause und der  vielen Fehlversuche  schön langsam die Sinnfrage stellen musste. Die Möglichkeit am Projekt zu klettern war einfach zu selten, der Aufwand der Anreise zu groß. Doch irgendwie lassen mich ungelöste Probleme mit einem „Schimmer Hoffnung“  nicht los. Ähnlich wie damals am direkten Südwestpfeiler des Baghirathi III in Indien. Drei Expeditionsanläufe innerhalb von acht Jahren benötigte ich, um meinen Traum, die Neutour „Stairway to heaven“ realisieren zu können.

Persönliche Grenzen ausloten
Obwohl  viel zu groß und zu schwer für eine solch technische Kletterei, wollte ich persönliche Grenzen ausloten. Doch ein erkennbarer  Fortschritt am Fels ließ lange auf sich warten. Mit dem   „Strohhalm der Hoffnung“ kämpfte ich mental immer wieder an den komplexen Bewegungsabläufen, so lange bis die Finger durch waren. Aber es zahlte sich aus. Denn mehr und mehr kam die spezielle Kraft, um Schlüsselpassagen zusammenzuhängen. Der Weg zum Ziel war gebahnt…
Endlich, nach hunderten Kilometern Fahrstrecke und vielen Versuchen gelang mir der Durchstieg beider  25 Meter langer Seillängen in absoluter Freikletterei. Welch ein Stein der mir jetzt vom Herzen fiel, obwohl es sich nur um 50 Meter silbergrauen Fels handelt…

„Tanz auf dem Regenbogen“
Eines schönen Herbsttages lud ich den schwedischen und in der Schweiz lebenden spitzen Alpinisten Olov Issakson zum „Tanz auf dem Regenbogen“ ein. Er bestätigte die technische Herausforderung  der Route. Obwohl er bereits mehrfach der Grad 8a meisterte, war hier an Rotpunkt so schnell nicht zu denken. Seine Aufforderung den unangenehmen Hängestand in „Größenwahn“ wegzulassen und beide Seillängen zusammenzuhängen, nahm ich als witzige Randbemerkung wahr. Doch je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr entstand ein neuer Traum. Nämlich die schwierigste Seillänge, die ich jemals im alpinen Sportklettergelände versucht hatte, Rotpunkt zu durchzusteigen.

Ein Rätsel mit sieben Siegeln
Nun suchte ich nach Lösungsmöglichkeiten,  den Hängestand zu überklettern. Und wieder war es ein  Rätsel mit sieben Siegeln, denn genau an dieser Stelle befand sich die Crux. Doch Schritt für Schritt arbeitete ich mich in gewohnter Weise aus dem Labyrinth von kleinen Löchern, Auflegern und Reibungstritten heraus und entdeckte schlussendlich den  Schlüssel zum Erfolg. Wenige Wochen  zuvor ein noch völlig utopischer Gedanke.

Die Kletterei fühlte sich anders an
Jetzt ging es darum alle Bewegungskombinationen zusammen zu hängen, was nur mit höchster Konzentration und Fingerkraftausdauer zu bewältigen war. Wieder reihten sich zahlreiche Fehlversuche aneinander – bis zum 12. Juni 2011, als auf einmal alles wie am Schnürchen lief. Ich kletterte die 50 Meter wie ein Uhrwerk, ohne Stress, mit genügend mentaler Kraft und dem Durchhaltevermögen meiner Finger. Am Standplatz angekommen, erwachte ich aus einem Traum.  Die Kletterei, wenige Minuten zuvor, fühlte sich anders an als das was ich von meinen bisherigen Versuchen kannte. Es gab keine Fehler mehr. Alles lief perfekt. Der Glücksmoment auf den ich so lange hingearbeitet habe, stellte sich nun ein.

Wie schwer?
Die Schwierigkeit der 50 Meter langen Seillänge ist für mich schwer einzuschätzen, da ich im alpinen Sportklettern nichts Vergleichbares im Rotpunktdurchstieg kenne. Ich würde mich freuen, wenn der ein oder andere junge Schweizer Spitzenalpinist einmal Hand anlegt und mir mitteilen könnte, ob die Anforderungen im Gesamtdurchstieg an 8a heranreichen oder doch eher bei 7c liegen.
Wie auch immer, für mich war das Projekt eine Kletteraufgabe der besonderen Art, mit der Bestätigung, dass vieles möglich ist, wenn man nur an sich glaubt.

„Hast du keine Chance, dann nutze sie“
(Sprichwort)

 

Schließe die Augen…
Tanz  mit mir auf dem Regenbogen.
Klettere auf einen Sonnenstrahl
hinauf zu den Sternen
in die Unendlichkeit.

Wer dankbar jeden Sonnenstrahl genießt,
wird auch mit dem Schatten zu leben wissen.

Der große Reichtum unseres Lebens
sind die kleinen Sonnenstrahlen,
die jeden Tag auf unseren Weg fallen.

Den Schatz am Ende des Regenbogens
findest Du nur,
wenn Du ihn mit dem Herzen suchst.