Klettern Tofana di Rozes – Route „Da Pozzo vecchio pazzo“

Tofana di Rozes

Wer eine moderne Route an der Tofana di Rozes klettern möchte, sollte wissen auf was er sich ein lässt…

Genussklettern an der ersten Pfeilerkante

Nachdem ich vor einiger Zeit schon einmal an der bereits klassischen „Alvera Kante“ der Tofana Südwand entlang klettern durfte, blickte ich beeindruckt nach links in die steilen Felswände der weiteren Pfeiler, die sich in einem Amphitheater vereinen, um den pyramidenförmigen Gipfelaufbau der mächtigen Tofana di Rozes zu stützen.

Erinnerungen an die „Via good by 1999“

Im Jahr 2005 hatte ich erstmals Kontakt mit einer modernen Route an der herrlichen Südwand. Mehr oder weniger zufällig wählten mein Seilpartner Günter und ich die „Via good by 1999“ vom uns damals unbekannten  „Lokal“ Massimo da Pozzo. Ausschlaggebend war die Absicherung mit Bohrhaken, was in den Dolomiten immer noch eine Ausnahme darstellt. Wir wollten für unsere Verhältnisse zwar schwer klettern, jedoch kein zu extremes Risiko eingehen. Denn mein 38 Meter Absturz als 16-jähriger Bursche in den Tannheimern auf Grund von Ausbruch mehrerer Normalhaken, den ich nur mit viel Glück überlebte, bleibt ein nie zu vergessendes Erlebnis. Dass man dennoch ein gewisses Potential Risikobereitschaft mitbringen muss, um eine „Da Pozzo Route“ klettern zu können, kann man in meiner Beschreibung der Route „Via good by 1999“ (Rubrik BERICHTE) sehr gut nachlesen.

„Neues Spiel – Neues Glück“

So stand ich sechs Jahre nach der „Via good by 1999“ wieder mit meinem lange Zeit aus den Augen verlorenen Kletterpartner Günter Bahr unter der Südwand der Tofana. Alles war ähnlich wie damals, nur wir sechs Jahre älter und etwas unschlüssig, welcher Nervenkitzel noch ertragbar wäre. Die Klassiker kamen weniger in Frage, da Günter die meisten schon durchstiegen hat. Also ging es nur noch darum, welche „Da Pozzo Route“ für uns machbar erscheint. Immer wieder verglichen wir die Bohrhakenanzahl mit den jeweiligen Seillängen. Bei vier bis sechs Sicherungen auf rund 35-40 Meter kamen wir auf eine zu erwartende Sturzhöhe von 8 bis 15 Meter. Na ja, das ist schon eine Nummer, dachten wir uns und hofften auf schöne Risse für zusätzlich mobile Sicherungsmittel.

„Da Pozzo vecchio pazzo“ 9/9+

Die Wahl fiel auf die schwierigste Route, da wir dort die meisten Bohrhaken ausmachen konnten. Trotz des Hinweises im „Dolomiten-Vertical“ Führer, dass zwingende Passagen im unteren neunten Grad zu bewältigen sind, glaubten wir an unsere Chance.

Per Losverfahren durfte (musste) ich in die erste Seillänge einsteigen, die durch ein zwei Meter ausladendes Dach in 15 Metern Höhe recht beeindruckend auf mich wirkte. Glücklicherweise blitzten zwei Bohrhaken an dieser Stelle, welche mir die Sicherheit vermittelten, bei einem Sturz ins Freie zu fliegen. Also gab es nun wirklich keine Ausreden mehr.

Nach ein paar steilen Zügen in gelbem Fels stand ich unter dem Dach und konnte den sicheren Haken an der Kante Klippen. Der Übergang schien extrem boulderlastig und schwierig aufzulösen, was meinem Kletterstil absolut nicht entspricht. So zog ich dankbar an dem künstlichen Hilfsmittel (BH) mit voller Spannweite bis zum nächsten guten Griff und stand nach kurzem Auschecken schnell über dem Dach. Nicht ganz optimal, dachte ich mir. Denn eine Boulderstelle dieser Art wäre im Klettergarten ein interessantes und sicherlich lösbares Projekt. Doch am Beginn dieser anspruchsvollen 10 Seillängen Route wollten wir nicht schon jetzt wertvolle Energie und Zeit verlieren. Darüber waren wir uns einig.

Erstmal psychisch und physisch auf den Dolomitenfels eingestellt, verbesserte sich unsere Moral und der Bewegungsfluss zusehends, was man vom Wetter leider nicht behaupten konnte. Immer mehr Nebel zog vom Tal herauf, der sich am Taupunkt mit unangenehmer Feuchtigkeit an den Felswänden absetzte.

Günter fliegt durch die Luft

Die nächsten schweren Seillängen liefen hervorragend. Steiler und griffiger Fels, durch Günter mit eleganten Zügen gelöst, motivierte mich trotz der einsetzenden Kälte jetzt wieder im „Rotpunktstil“ dran zu bleiben.

Auch die 9- Seillänge versprach stetig überhängende Kletterei mit Bohrhaken in Sichtweite. Sie wirkten beruhigend. Doch nur kurz. Denn als bei Günter nach mehreren ausdauernden Zügen in Wandmitte eine gewisse Unruhe aufkam, erkannte ich die Situation. Wie ein Vogel schoss im Sturzflug er auf mich zu und prallte mit beiden Füßen erschrocken an den Fels. Stille… – danach ein tiefer Atemzug.

Schnell signalisierte Günter mir, dass alles o. k. sei. Er wäre beim Versuch den Haken von rechts anzuklettern in eine „Sackgasse“ gelaufen, was im unteren neunten Grad für ihn dann nicht mehr auszumerzen war. Ein 10 Meter Flug mit unsicherem Ausgang musste folgen…

Um solche Situationen einigermaßen abfedern zu können benützte ich die weichen BEAL-Seile, die nicht nur leicht sind, sondern auch das Verletzungsrisiko bei Stürzen enorm reduzieren. In nächsten Anlauf fand Günter sofort die richtige Griffkombination, gemischt mit ein paar taktischen Ruhepunkten an großen Griffen und erreichte sichtlich erleichtert den Stand.

Als ich mich recht durchgefroren an der scheinbar nicht enden wollenden Seillänge versuchen durfte, war die Motivation noch hoch. Denn ab und zu hinterließ mein Vorgänger sichtbare Magnesiaspuren, welche die wichtigen Griffe markierten. Doch auch das nützte nur bis zur Hälfte der Seillänge. Denn Zusehens vermehrte sich das Laktat in meinen Unterarmen so rapide, dass an das Halten von Felsstrukturen nicht mehr zu denken war. Auch ich baumelte im Seil. Doch was soll’s, sagten wir uns. In der siebten Seillänge checkt man bei Nebel und Kälte keine 50 Meter lange 9- Passage mehr aus. Wir waren erst mal froh, oben angekommen zu sein.

Seil lässt sich nicht mehr abziehen

Beim Abseilen lief anfangs alles wie am Schnürchen, wussten wir doch, dass bei den Überhängen viele Zwischensicherungen einzuhängen sind. Zu steil ist die Wand.

Im unteren Drittel kam auf einmal etwas mehr Wind auf, was die leichten Seile in Bewegung brachte. Wir waren auf der Hut. Sorgfältig zogen wir langsam ab, bis auf einmal nichts mehr ging. Gemeinsames ziehen, schütteln, schwingen, rucken – nichts half. Das Seil war fest. So standen wir nun 100 Meter über dem Boden und hofften, mit dem noch verbleibenden Halbseilstrang zum Einstieg zurück zu gelangen. Eine nervenaufreibende Spannung, die wir so nicht eingeplant hatten. Doch es reichte – wir hatten Glück!

Am nächsten Tag nochmals hinauf

Das in der Wand verbliebene Halbseil war zu gut, um es einfach hängen zu lassen. Also standen wir am nächsten Tag bereits vor Sonnenaufgang auf und kletterten mit dem im Auto liegenden Einfachseil nochmals zur „Verknotungsstelle“ hinauf. Was wir vorfanden war ein perfekter Spezialknoten, den ich so wahrscheinlich nicht hinbekommen hätte. Wie auch immer das am Vortag passieren konnte, es war uns ein Rätsel.

Fazit

Die Linienführung ist einfach und direkt. Der Fels wechselt zwischen leicht brüchig und sehr fest. Die Absicherung ist moralisch, aber noch in einem erträglichen Rahmen. Alles in allem eine wie immer sportliche „Da Pozzo-Route“ die sich lohnt. Dennoch wird die Route auf Grund der geforderten Schwierigkeiten in nächster Zeit sicherlich kein überlaufener Klassiker werden.

Übersetzung des Namens der Route

Zu Hause interessierte mich dann doch noch die Übersetzung des italienischen Namens unserer Route. In der Eisdiele von nebenan wurde ich freundlich aufgeklärt.

„Da Pozzo vecchio pazzo“ bedeutet so viel wie „Da Pozzo der alte Verrückte“. Ein toller Spruch der treffender nicht sein könnte. Und zwar im positiven Sinne. Denn viele seiner Kreationen an der Tofana sind kleine Kunstwerke. Und gute Künstler sind eben ein bisschen verrückt…