Klettern Marmolada – Route “Weg durch den Fisch”
Weg durch den Fisch
1981 machte das Gerücht über eine spektakuläre Erstbegehung zweier tschechischer Spitzenkletterer durch den kompaktesten Wandteil der Marmolada die Rocca in der Alpinistenszene die Runde. Die Route führt in direkter Linie durch den von der Falier Hütte aus sichtbaren Plattenpanzer mit einer fischförmigen Ausbuchtung in Wandmitte. Diese diente den Erstbegehern nicht nur als Biwakplatz, sondern war auch Inspiration für den recht ungewöhnlichen Namen.
Der „Weg durch den Fisch“ wurde auf einer Länge von 850 Meter mit dem Schwierigkeitsgrad VII A2 bewertet. Dabei benötigten die Erstbegeher 15 von nur 25 geschlagenen Zwischenhaken zur Fortbewegung plus Klemmkeile und Cliffhänger.
Als bis zum Jahre 1984 alle Wiederholungsversuche scheiterten, mussten auch kritische Insider zugeben, dass es sich hier um einen „dicken Fisch“ handelt. Doch danach war der Bann gebrochen, zumindest teilweise. Denn die Realisierung einer vollständig freien Begehung lies wiederum alle Aspiranten erfolglos nach Hause fahren. Erst 1987 holten sich die zu dieser Zeit besten Dolomitenkletterer Italiens den“Marmolada-Fisch“ von den Tschechen wieder zurück. Der Seilschaft Mariacher/Perdeiva gelang nach vielen Versuchen die erste Rotpunktbegehung im Schwierigkeitsgrad 9-. Mit dieser Leistung betraten sie eine neue Stufe des modernen Alpinkletterns ohne Bohrhaken und rückten den „Weg durch den Fisch“ endgültig ins Rampenlicht der internationalen Kletterszene.
Diese Schlagzeile entging auch nicht dem Erstbegeher, Igor Koller. Davon inspiriert und motiviert stieg er nochmals in seine Route ein, um ein „I-Tüpfelchen“ auf Mariachers Erfolg zu setzen…
Hier Auszüge eines damals verfassten Berichtes zu dieser Begehung:
Der „Fisch im Sommer“, der „Fisch im Winter“, der „Fisch an einem Tag“, der „Fisch Rotpunkt“. Was kann man nun noch besser machen? Die freie Begehung des „Weges durch den Fisch“ war mein großer Traum, doch Heinz Mariacher und Bruno Pederiva kamen mir im Spätsommer 1987 zuvor. Ja, es blieb noch die Möglichkeit einer „on sight“ Begehung, d. h. ohne die Route vorher zu kennen, doch das war für mich nicht mehr möglich, da ich selbst den „Fisch“ erstbegangen hatte.
Aber der „Fisch“ lockte mich dennoch für eine freie Begehung. Die Rückkehr zur alten Liebe ist etwas großartiges, vor allem dann wenn man die Idee für einen neuen Stil findet und die Motivation dazu aufbringt.
Der „Fisch“ ohne Skyhook! Dieser Gedanke kam mir erst im vergangen Sommer, als ich von der Marmolada zurückkehrte. Heuer hatte ich dann endlich die Zeit und Kraft eine solche Idee mit einem Seilgefährten der fähig war jede Passage im „Fisch“ frei zu klettern, in die Tat umzusetzen. Ich wollte meinen „Fisch“ ohne künstliches Hilfsmittel zur Fortbewegung und zum Ruhen begehen. Es ging mir weniger darum, den Stil der ersten „Rotpunktdurchsteigung“ zu verbessern, denn Heinz und Bruno hatten Skyhooks benutzt, um Sicherungsmittel an problematischen Stellen anzubringen. Vielmehr wollte ich auf ihn als Rettungsanker verzichten, denn man kann diesen kleinen Metallhaken an vielen Felslöchern einsetzen, um damit einige Meter über der letzten Zwischensicherung auszuruhen. Welch enorme psychische Erleichterung!
Schüchtern spreche ich mit meinen Freunden über diesen Gedanken. Benutzen will ich den Skyhook nicht, aber doch im Rucksack mitnehmen, sicherheitshalber…
Doch meine Kletterpartner entscheiden anders: Wenn schon ohne, dann ganz ohne – der Skyhook wird also weder in der Hosentasche noch im Rucksack sein! Ein wenig Angst ergreift mich, doch doch dann freue ich mich über diese Entscheidung: Das ist unsere Chance, unsere Chance auf ein echtes Abenteuer!
So durchsteigen wir also – Rudo Tefelner, Igor Pap und ich den „Weg durch den Fisch“ vom 5. bis 7. September 1988 Rotpunkt und ohne Skyhook. Unser Klettertempo war schrecklich langsam! Ich schäme mich fast, wenn ich daran denke, dass Karl Vinatzer und Adam Holzknecht den „Fisch“ in nicht ganz elf Stunden schafften. Und am 15. August verbesserten Hans und Ueli Bühler aus der Schweiz diese Zeit auf acht Stunden – eine fantastische Leistung!
Es gefällt mir überhaupt nicht, dass sich gleich anschließend Stimmen erhoben, die kritisieren, dass dies heutzutage kein Problem sei, weil so viele Haken in der Route steckten. Das ist übrigens falsch! Im „Fisch“ gibt es 1988 ungefähr 10 Haken mehr als wir 1981 während der Erstbegehung benutzten – also ein normaler Zustand! Ist es wirklich so schwierig zu lernen, gute Leistungen anderer Kletterer anzuerkennen und nicht gleich Gründe zu suchen, um deren Leistung herabzusetzen?
Griffpuzzle an Grifflöchern
Nun, die anspruchsvollsten Seillängen im „Fisch“ bewältigten wir wie folgt:
Den Quergang mit den weißen Streifen führte ich, da ich die schwierigen Passagen bereits im vergangenen Jahr eingeübt hatte. Ich kletterte sie im ersten Versuch links des Risses und hängte die folgende Seillänge bis zur seichten Verschneidung gleich dran. Danach brilliert Rudo Tefelner, genannt „Tufi“ mit einem „on sight“ (9-). Kurz vor der fischförmigen Felshöhle beißen sich dann meine beiden jungen Partner fest. Das Griffpuzzle mit den winzigen Fingerlöchern will sein Geheimnis einfach nicht preisgeben. Erst nach einigen kleineren Stürzen sind wir klüger und zugleich einig, dass die Bewertung dieser Stelle mit 7+ verdammt hart ist.
Im eigentlichen „Fisch“ angekommen, hätten wir zwar noch Zeit gehabt uns ein oder zwei Längen anzuschauen, doch die Motivation reichte nicht mehr aus, um schwer zu klettern. So entscheiden wir uns für ein Biwak im Bauch des Fisches.
Der Morgen des folgenden Tages zeigt sich eiskalt. „Tufi“ wärmt sich lange auf, denn heute wird er, als stärkstes Mitglied unseres Teams, hart kämpfen müssen. Insgeheim hoffen wir, dass sämtliche Haken an den kritischen Stellen bereits stecken, doch sie fehlen! Zweimal muss „Tufi“ einen Haken aus der Kletterstellung schlagen, was seine Kräfte zusätzlich minimiert. Danach stopft er noch einen Tricam in ein Felsloch und nimmt die schwierige Platte in Angriff. Diese fünf Meter werden schrecklich lang! Nur noch Zentimeter fehlen ihm, ruckweise schieben sich die Seile durch die Sicherung, dann werden sie plötzlich locker, um sich anschließend sofort heftig anzuspannen! „Tufi“ fliegt 10 Meter durch die Luft und hängt im Seil; die Kraft, hauptsächlich aber die Psyche hielten der Belastung nicht Stand. Nach der Premiere folgt die Reprise, doch diesmal endet der Sturz Kopf voraus. Ich lasse „Tufi“ wieder in den „Fisch“ ab, so dass er durchatmen kann. Vor einem erneuten Versuch muss er sich gut ausruhen, denn die weiten Stürze an nicht immer vertrauenerweckenden Sicherungsmitteln zehren an seinen Nerven.
Nach langen Minuten ziehen wir die Seile wieder ab und „Tufi“ startet erneut. Diesmal klappt es auf Anhieb. Jetzt bin ich an der Reihe mit der zweiten Seillänge über dem „Fisch“, die mit 9- bewertet ist. Ich stehe in einem seichten Loch und behänge mich mit allen verfügbaren Sicherungsmittel wie Stopper, Friends und Tricams. Auf die senkrechte Wand mit den Einfingerlöchern, die Bruno Pederiva bei der ersten freien Begehung hinaufgeklettert ist, habe ich überhaupt keine Lust. Ich will es mit einer Umgehungsvariante weiter links versuchen, was aber nicht viel leichter aussieht. Mit Atemübungen soll die Angst vertrieben werden, doch es gelingt nur schlecht. Irgendwann überwinde ich mich dann endlich und nehme die Platte mit den kleinen Löchern in Angriff. An deren Ende finde ich sogar einen soliden Haken und eine Möglichkeit etwas auszuruhen, bevor ich die glatte Querung hinüber zum Standplatz ohne Probleme bewältige. Die folgende sehr schwierige Passage, den Quergang nach links zu einem Riss, klettert „Tufi“ zwar mit gefletschten Zähnen, aber oder vielleicht gerade deshalb im Stil reinen „on sight“.
Mit bleibt die letzte Seillänge hinauf zur Terrasse, die sich nochmals als anspruchsvoll und technisch schwierig darstellt. Diese endlich geschafft, richte ich glücklich den Standplatz ein und gebe Signal zum Nachkommen. Doch jetzt warte ich noch geschlagene zwei Stunden auf die nachsteigenden Partner. Ein Zeichen dafür, dass meine jungen Freunde zwar verdammt gut klettern, sich aber mit der Seiltechnik in hohen Alpenwänden nicht besonders gut auskennen.
Während der Pause stellt sich mehr und mehr die Müdigkeit ein, vor allem psychisch sind wir ausgebrannt. So entscheiden wir uns gemeinsam auf der bequemen Terrasse nochmals zu biwakieren.
Die Nacht ist phantastisch, und der großartige Sonnenaufgang am nächsten Morgen erinnert uns eindrucksvoll daran, dass wir nicht nur wegen einer sportlichen Leistung an der Marmolada unterwegs sind…
In einer Kletter Zeitschrift war im Jahr 1988 über die erste Ein-Tagesbegehung des „Weges durch den Fisch“ zu lesen, und dass das vielleicht letzte Problem am „Fisch“ eine „Rotpunktbegehung“ an einem Tag sei. Ich glaube nicht, dass dies bei Vorhandensein aller wichtigen Sicherungspunkte ein allzu großes Problem ist, denn viele junge Kletterer haben das Können dazu. Weitaus interessanter wird die erste „on sight“ Begehung sein und irgendwann wird sicher jemand kommen, dem die erste „free-solo – Rotpunktbegehung“ gelingt. Doch bitte, dies soll keine Aufforderung zu unbesonnenen Taten sein, denn dazu muss die Zeit reifen!
(Auszüge eine Berichts von Igor Koller Ende der Achtziger Jahre in einer Kletter Zeitschrift)
Einige bemerkenswerte Begehungen:
- Erstbegehung 1981 durch Igor Koller und Indrich Sustr (damals 17 Jahre) aus Tschechien
- Zweitbegehung 1984 durch Heinz Mariacher und Luisa Iovanne aus italien
- Drittbegehung 184 durch Wolfgang Güllich und Chr. Stiegler
- Erste „Rotpunktbegehung“ 1987 durch Heinz Mariacher und Bruno Pederiva aus Italien
- Zweite „Rotpunktbegehung“ Begehung ohne Skyhook 1988 durch Igor Koller (Bericht oben)
- Erste „Solobegehung“ 1990 durch Maurizio Giordani (Italien). 9 Seillängen sicherte er sich.
- Erste „On sight“ Begehung 1990 durch Daniele De Candido aus Santo Stefano di Cadore.
- Die nächsten “On sight-Begeher” waren Roland Mittersteiner und Hans Eisendle aus Südtirol und bald darauf Christoph Hainz , ebenfalls aus Südtirol.
- Der Dresdner Nationalmannschaftskletterer Jörg Andreas klettert 1997 mit 20 Jahren den „Fisch“ als seine erste Alpinroute im „On sight“ zusammen mit Walter Hölzler (R. p.)
- Erste „Free-Solo“ Begehung 2007 durch Hansjörg Auer (Österreich) in 2 Std. und 55 Min.