Der Piz Palü, 3900m – Das Silberschloss der Alpen

Der Piz Palü
Wie vor kaum einer anderen Berggestalt ist der Betrachter vor dem Piz Palü versucht, das Geheimnis seiner Faszination nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Gedankenergründen zu wollen. Allmählich erst beginnt er zu begreifen, dass es die magische Dreizahl ist, mit der die Natur ihr geheimnisvolles Spiel getrieben hat, als sie diesen Berg erschuf: Drei weiße Gipfel sind es, die den Berg krönen. Drei schwarze Granitpfeiler , auf denen ihre Häupter ruhen. Drei wilde Hängegletscher, schäumende Kaskaden von Eis, die zwischen und neben den Felspfeilern in die Tiefe stürzen. Sanfter endlich, das erschreckte Auge versöhnend, ergießt sich vom steinernen Sockel der Felspfeiler weg der breite Strom des Persgletschers hinab in die Tiefen des Morteratschbeckens. Es ist eine unendliche Harmonie in dem gewaltigen Bilde.

Die drei großen Pfeiler
Drei große Anstiegswege führen über die großen Felspfeiler in der Nordwand des Piz Palü. Doch eindeutig dominiert das Eis in dieser Wand, selbst die drei Granitpfeiler sind immer wieder von Firnabschnitten unterbrochen und enden in Gipfelnähe im reinen Eis.

Der Westpfeiler
Der 800 Meter hohe Westpfeiler wird sehr selten erstiegen, da in den letzten Jahren, durch Ausaperungsprozesse, glatte teils schlecht absicherbare Felsplatten zu Tage kommen. Die Kletterei ist daher anspruchsvoll und stellt teils hohe Anforderungen an die Psyche.

Der Mittelpfeiler
Der 900 Meter hohe Mittelpfeiler ist der Schwerste der drei. Schon auf dem Weg zum Einstieg wird der Kletterer von dem drohenden Eisbalkon im oberen Wandteil zu einer schnellen aber überlegten Routenwahl gezwungen. Immer wieder krachen unverhofft  riesige Seracs auf den unteren Teil der Route herab. Erst am Firngrat kommt man kurz zur Ruhe, bevor man am eigentlichen Felspfeiler die optimale Route finden muss. Zwischen dem vierten und sechsten Schwierigkeitsgrad ist alles geboten. Je nachdem wie man klettert. Den optimalen Weg zu finden ist recht schwer, da immer wieder vereinzelt Haken zu sehen sind, die aber lange noch keine Garantie für den leichtesten Weg darstellen. Sehr problematisch wird es bei vereistem Fels oder nach Neuschneefällen. Die Sicherungspunkte liegen alle unter dem Schnee, kletterbare Risse und Vorsprünge sind auf dem glatten Granit nicht mehr zu erkennen. Die Kletterschwierigkeiten steigen enorm an.
Nach ca. 10 Seillängen erreicht man den großen Eisbalkon an seinem linken Ende. Auch hier ist die Erkletterung stark von den Verhältnissen abhängig. In manchen Sommern kann man diesen Überhang recht leicht in einer Linksquerung umgehen. Doch im diesem Jahre war das “Auskneifen” so gut wie nicht möglich, da der Eiswulst abrupt abbricht. Die direkte Erkletterung an der Kante verlangt eine solide Eisklettertechnik in einer Steilheit zwischen 70 bis 90 Grad. Diesen geschafft, kann man sich über das Ende der technischen Schwierigkeiten freuen. Doch es sind immerhin noch fast 200 anstrengende Höhenmeter bis zum Hauptgipfel. Oft trifft man in diesen flachen Passagen tiefen Schnee an. Nach einem langen Tag wird die Spurarbeit zur Qual.

Der Ostpfeiler
Der Ostpfeiler ist mit seinen 600 Höhenmetern der Kürzeste. Ganz einfach darum, weil man den unteren Teil über den Normalweg umgeht und erst auf einem Gletscherplateau zum eigentlichen Grat quert. Nach der Überwindung der Randspalte folgen ein paar brüchige Passagen zur Gratkante. Ab da bietet der Ostpfeiler einen Klettergenuss von höchster Güte. Nicht umsonst gehört er zu den schönsten kombinierten Routen im weiten Umkreis. Wenn man direkt am Gratfirst noch oben klettert ist der Fels fest und griffig. Trotzdem müssen Stellen im oberen vierten Schwierigkeitsgrad bewältigt werden. Ab und zu findet man auch einen Haken. Wer ein paar Keile dabei hat, ist auf der sicheren Seite. Der abschließende Firngrat ist “spitz” aber nicht sehr steil. Meist findet man Stufen in der 40-45 Grad steilen “Himmelsleiter” die direkt zum Ostgipfel führt.

Fazit:
Alle drei Pfeilerrouten am Piz Palü sind unterschiedlich in ihrer Charakteristik aber gleich in ihrer Schönheit. Als ich einen Schweizer Bergführer fragte wie er die Palüpfeiler beschreiben würde, meinte er: der Westpfeiler ist der Unangenehmste – der Mittelpfeiler ist der Schwierigste – und der Ostpfeiler ist der Schönste. Dieser kurzen aber prägnanten Beschreibung möchte ich nichts mehr hinzufügen.

Stand 2002