Bhagirathi – “Auf der Himmelsleiter” Bericht 2004

Zeitungsbericht über die erfolgreiche Bhagirathi III Alpinstil Expedition

 

Jahr 2004 – Bhagirathi Gruß-Postkarte

Dem Allgäuer Bergführer Walter Hölzler gelingt mit seinem Partner Jörg Pflugmacher die Erstbegehung des direkten Südwestpfeilers am 6454 m hohen Bhagirathi III im Himalaya

Einen lang ersehnten Traum erfüllte sich der Oberallgäuer Extremkletterer Walter Hölzler aus Oberstaufen. Im dritten Anlauf war sein Abenteuer am 6454m hohen Bhagirathi III Göttin des Himmelstromes im indischen Teil des Himalaya von Erfolg gekrönt. Am 19. Mai stand Hölzler nach fünf Biwaknächten im Portaledge mit seinem Kletterpartner Jörg Pflugmacher aus Garmisch Partenkirchen auf dem Gipfel – ein bergsteigerischer Lebenstraum war in Erfüllung gegangen.

“Ich kann es noch gar nicht richtig fassen”, bekennt Walter Hölzler. Als er vor acht Jahren diese “Magic-Line” zu seiner größten bergsteigerischen Herausforderung vom gegenüber liegenden Gipfel des Shivling (6543m) Matterhorn des Himalaya erklärte, ging Walter Hölzler davon aus, schon beim ersten Mal den Gipfel erreichen zu können. Der rund1500 Meter hohe Stützpfeiler der Bhagirathi III Westwand sollte, wenn möglich in Freikletterei, direkt auf seiner Schneide erstiegen werden. Zweimal, im Jahr 2000 und 2001, warf ihn der Berg ab. “Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es irgendwie klappen könnte”, erinnert sich Hölzler an die Zeit zwischen Zweifel und Hoffen.
Wenn alles optimal passt, so die Erkenntnis aus zwei gescheiterten Anläufen und tagelangen Recherchen anhand von Fotografien, müsste es möglich sein die Erstbegehung in größtenteils freier Kletterei zu realisieren. Doch leider gibt es diese Momente, gerade auf schwierigen Expeditionen im Himalayagebirge, recht selten. Das musste er sich selbst in den vergangenen Jahren kläglich eingestehen.

Nach zweijähriger Expeditionspause sollte ein dritter Anlauf sein absolut letzter Versuch an der Göttin des Himmelsstromes, so der symbolische Name des Bhagirathi, an dessen Fuß der Ganges entspringt, sein.

Diesmal setzte er alles auf eine Karte. Denn nur zu zweit im Alpinstil musste, für einen Erfolg, alles passen. Sollte das Wetter, die Gesundheit, die Ausrüstung und der Partner optimal mitspielen, war eine reelle Chance da. Einen guten Seilgefährten fand Hölzler mit Jörg Pflugmacher, ebenfalls ein erfahrener Alpinist und Kletterer, mit dem er sich im Winter auf das Projekt gut vorbereitete. “Es geht in andere Dimensionen, wenn du über 1,5 Kilometer Kletterlänge, meist über dem sechsten bis zum oberen achten Grad, vor dir hast. Und das in einer Höhe zwischen 5000 und 6500 Metern, wo sich der Sauerstoffmangel bereits spürbar auswirkt. Deshalb musst du nicht nur physisch stark sein sondern dich auch psychisch auf diese Extremsituation vorbereiten. Dort oben bist du von der Außenwelt abgeschieden. Da gibt es weder Hubschrauber noch Bergwacht…”

Der Knackpunkt für das Unternehmen war das Wetter. “Als wir Ende April im Basislager auf 4200 Metern ankamen, versanken wir zunächst in tiefem Schnee”, erinnert sich Hölzler. ” Wir mussten die Zelte regelrecht eingraben”, was für diese Jahreszeit absolut ungewöhnlich ist, bestätigte unser Begleitoffizier. Doch nach einer Woche wendete sich das Blatt: fast 20 Tage schönes Wetter sollten folgen. Natürlich wussten das beide vorher nicht.

Nach mehrtägigen Vorbereitungen im Hochlager und den ersten schweren Seillängen entschieden sich beide, nun ihren einzigsten Versuch im Alpinstil zu wagen.
Neun Tage waren Hölzler und Pflugmacher in der Wand, fünf davon ununterbrochen mit einem Portaledge Richtung Gipfel unterwegs. Eineinhalb Tage dauerte der Abstieg über die selbe Route. 30 Seillängen plus dem brüchigen Gipfelaufbau, nahezu alles in Freikletterei bis zu Schwierigkeitsgrad 8+/9-.

Hölzler übernimmt den Part des Vorsteigers, während Pflugmacher als Seilzweiter die Rolle des Sichernden wählt. “Jörg hat mich souverän begleitet und motiviert. Das war sehr wichtig.” Beschreibt Hölzler die Seilschaft am Bhagirathi. Das Risiko sei zu zweit zwar größer, sagt Hölzler “ein Ausfall und nichts geht mehr.” Aber ein Duo sei flexibler und schneller. “Schnelligkeit ist wegen der Witterung im Himalaya auch Sicherheit.” Ziel war es, möglichst viel am direkten Südwestpfeiler frei, also ohne technische Hilfsmittel zur Fortbewegung, zu klettern. Was auch gelang. Nur in zwei Seillängen musste Hölzler in die Klemmkeile greifen. Wie schnell eine kleine Unachtsamkeit das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen kann, erfuhr Walter Hölzler sehr hautnah. Nach einem elfstündigem Klettertag macht sich einer der großen Expeditionsbergschuhe des Oberallgäuers “selbständig”. Und den braucht er für den Anstieg zum Gipfel und später für den Rückweg ins Basislager; die eng sitzenden Reibungskletterschuhe können nur für das eigentliche Felsklettern verwendet werden. “Es war schon spät am Nachmittag. Ich hantierte am Standplatz mit Karabinern und Klemmkeilen. Plötzlich sah ich wie einer meiner Schuhe, durch einen Stoß aus dem Befestigungskarabiner schnappte und über eine 100 Meter hohe Felswand hinunter viel, aufschlug und nochmals weitere 100 Meter durch die Luft geschleudert wurde. Danach kam ein ca. 35 Grad steiles Schneefeld auf dem ich ihn aus den Augen verlor…” erinnert sich Hölzler an den Moment als ihm der Atem weg blieb.

Es gab nur eine schnelle Entscheidung: Abstieg an allen vorhandenen Seilen und Suche in Eis und Geröll. Nahe daran, die Hoffnung aufzugeben, entdeckt Hölzler den vermissten Schuh in weichem Schnee, wenige Meter vor einem weiteren Abgrund. Der Gipfelsturm und seine Zehen war gerettet. “Aber das gibt`s bei jedem Abenteuer”, meint er im Nachhinein zum Glück im Unglück.
Auch am “Gipfeltag” blieb es spannend. Für kurze Zeit sah es so aus als würde das Wetter nochmals kippen. Denn eine Sturmnacht mit Schneefall, im Hängebiwak, hatten sie schon hinter sich bringen müssen. Nach den letzten schweren Seillängen erreichten Hölzler und Pflugmacher gegen 14 Uhr die “brüchige Wand” unterhalb des eigentlichen Gipfelbereiches und treffen die Entscheidung, bis 15 Uhr zu klettern, um dann – egal wie weit sie gekommen waren – umzukehren. Hintergrund: Die beiden brauchten ein “Polster” für den Rückweg, da sie für ein Biwak im Gipfelbereich nicht optimal ausgerüstet waren.

Mit einer halben Stunde “Verspätung” erreichten Hölzler und sein Kletterkollege Pflugmacher um 16 Uhr, den völlig mit Nebel eingehüllten, Gipfel. “Dann gab`s nur ein kurzes Händeschütteln, ein paar Fotos und Videoaufnahmen für den Film, bevor wir schon wieder an den Abstieg denken mussten”, berichtet Hölzler vom bescheidenen Gipfelglück. “Die wirkliche Freude kommt erst unten im Basislager auf. Denn dann weiß man, dass man es wirklich geschafft hat”, betont er.

Prompt bescherte der Abstieg einen weiteren Nervenkitzel: In der hereinbrechenden Dunkelheit und durch starken Wind verfingen sich beim Abseilen hängende Sicherungsseile, im steilen, mit Rissen durchsetzten Felspfeiler – mittendrin Jörg Pflugmacher gefangen in den eigenen Seilen. Das Messer war nicht aufzufinden. Schließlich, nach Kräfte zehrendem, auswegslosem Hängen im Klettergurt, war die letzte Möglichkeit – das eingeklemmte Seil mit dem Eisbeil kappen – aber welches in dem Wirrwarr? Die Nacht war bereits hereingebrochen. Dann die Idee – Hölzler holt eine der starken Petzl-Stirnlampen vom 30 Meter weiter unten gelegenen Hängebiwakplatz und leuchtet in die Wand. Pflugmacher erkennt das Richtige und zertrennt dieses mit heftigen Schlägen.
Rechtschaffen müde erreichen die Kletterer gegen 22.30 Uhr ihr “Adlernest”. “Stairway to heaven” – Himmelsleiter taufen sie ihre Route.

Hölzler und Pflugmacher sind sichtlich stolz auf die Macig-Line. “Wir haben uns nicht technisch hochgenagelt oder gebohrt. Solche Routen gibt es im Himalaya bereits genug. An den Standplätzen und an freikletterstrategisch wichtigen Stellen setzten wir zwar Bohrhaken ein, aber benützten diese ausschließlich zur Sicherung. Denn die Philosophie war, dass die Route schön und schwer werden sollte, aber nicht lebensgefährlich. Wir würden uns freuen, wenn sich bald schon Wiederholer an ihr versuchen.”

Josef Gutsmiedl